Noch am 27. März 2018 hatten wir an dieser Stelle von einem Urteil des BFH (Urteil vom 09.11.2017 – III R 10/16) berichtet, in dem die Richter, jedenfalls für das Steuerjahr 2013, keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen aus der Abgabenordnung hatten, wonach für Steuernachzahlungen Nachzahlungszinsen iHv 6 % p.a. (0,5 % pro Monat) gefordert werden dürfen.
Dass in der Sache aber doch noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein scheint, lässt sich nun einem Beschluss des BFH vom 25. April 2018 (IX B 21/18) entnehmen. Dort haben die Richter in einem Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung dem Antrag stattgegeben und so verhindert, dass der Steuerpflichtige vorerst 240.831 € an Zinsen noch zusätzlich zur Steuernachzahlung an den Fiskus überweisen muss.
Finanzamt fordert nach Außenprüfung erhebliche Steuernachzahlungen
In dem Rechtsstreit hatte das Finanzamt zunächst für das Steuerjahr 2009 die Einkommensteuer, die zu zahlen war auf 159.139 € festgesetzt. Nach einer Außenprüfung änderte das Finanzamt am 13.11.2017 den Steuerbescheid und setzte die Steuerzahlung für das Jahr 2009 auf 2.143.939 € fest. Nachzuzahlen war damit 1.984.800 € an Steuer.
Zusätzlich verlangte das Finanzamt nun Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 € für die Zeit vom 01.04.2015 bis zum 16.11.2017. Dies entspricht 0,5 % pro Monat, also 6 % Zinsen im Jahr.
Einspruch und Klage zum Finanzgericht gegen die Zinsfestsetzung hatten keinen Erfolg, sodass der Rechtsstreit schließlich wiederum beim BFH landete.
BFH schließt Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungszinsen nicht aus
Während im vorgenannten Urteil der BFH noch Forderung von Nachzahlungszinsen iHv 6 % durchgewunken hat, hat der nunmehr mit der Angelegenheit befasste IX. Senat dann doch schwerwiegende Zweifel, ob die Regelungen in der Abgabenordnung (§ 233a und § 238 AO) jedenfalls ab dem Jahr 2015 noch verfassungsgemäß seien. Die Richter begründen dies mit einer realitätsferne Bemessung der Zinshöhe, weil der angemessene Rahmen der wirtschaftlichen Realität, in der sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe, erheblich überschritten wird. Im Rahmen der hier vorgenommenen summarischen Überprüfung könne dadurch der in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Gleichheitsgrundsatz verletzt sein.
Bei der gebotenen summarischen Überprüfung vermochten die Richter eine sachliche Rechtfertigung der Nachzahlungszinsen nicht (mehr) zu erkennen. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i. S. des § 247 BGB nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.
Es bestünden überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.
Der Gesetzgeber sei im Übrigen von Verfassungswegen gehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahingehend bereits geändert habe.
Wie geht es weiter?
Das letzte Wort ist damit in der Angelegenheit natürlich nicht gesprochen, denn die Verpflichtung Nachzahlungszinsen in der geltend gemachten Höhe zu zahlen, ist damit nicht endgültig vom Tisch, sondern nur vorläufig ausgesetzt. Der BFH wird nun im Rahmen eines Hauptverfahrens in der Sache entscheiden. Hält er dann die Vorschriften aus der Abgabenordnung weiterhin für verfassungswidrig, dann kann er die Regelungen nicht einfach verwerfen, sondern muss sein Verfahren aussetzen und im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen.
Sollten Sie also als Steuerpflichtiger auch mit den hohen Nachzahlungszinsen ab dem Steuerjahr 2015 belastet sein, dann sollten Sie auf jeden Fall unter Verweis auf dieses Verfahren, wenn die Finanzverwaltung nicht von ACsich aus die Vorläufigkeit der Festsetzung erklärt, Einspruch einlegen, um die Sache offenzuhalten.
Im Ergebnis ist aufgrund der Einheit der Rechtsordnung ohnehin nicht nachvollziehbar, weshalb der Fiskus für sich mehr an Zinsen beansprucht, als er wiederum den Bürgern an Verzugszinsen zubilligt. Deshalb wäre es naheliegend, wenn der Gesetzgeber zur Vereinheitlichung der Rechtsordnung den Verzugszins aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch heranzieht. Dies sind 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, also derzeit 4,12 %, weil der Basiszins augenblicklich negativ ist und bei -0,88 % liegt. Gemessen an den Zinsen, die sich bei einer Kapitalanlage am Markt erzielen lassen, wäre dies ohnehin noch eine hervorragende Rendite, die dem Fiskus zusätzlich Milliarden in die Kassen spült.