Der Online-Handel hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung erlebt. Mit der Zunahme des E-Commerce sind jedoch auch rechtliche Fragen aufgetaucht, insbesondere im Bereich des Widerrufsrechts. Ein besonders bemerkenswertes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) betrifft den Kauf von Teakbäumen als Geldanlage über das Internet. Das Urteil vom 15. Mai 2024 (Az. VIII ZR 226/22) verdeutlicht, dass auch bei solchen speziellen Investitionsformen ein Widerrufsrecht nach deutschem Recht besteht. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe des Falls, die rechtlichen Grundlagen und die Bedeutung des Urteils.
Hintergrund des Falls
Ein in Deutschland lebender Kläger schloss in den Jahren 2010 und 2013 mit einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen Verträge über den Kauf von insgesamt 1.400 Teakbäumen in Costa Rica. Die Bäume sollten als langfristige Investition dienen, wobei der Verkauf des Holzes nach Jahren eine Rendite erzielen sollte. Die Verträge beinhalteten auch Dienstleistungen wie die Bewirtschaftung, Pflege und den Verkauf der Bäume durch das Unternehmen. Der Kläger zahlte hierfür insgesamt 81.200 Euro. Über ein Widerrufsrecht wurde er jedoch nicht belehrt. In den AGBs des Verkäufers war geregelt, dass für den Vertrag ausschließlich Schweizer Recht gelten würde und als Gerichtsstand der Sitz der Beklagten in der Schweiz als vereinbart gilt. Auch die Anwendung UN-Kaufrechts war dort ausgeschlossen.
Der Kläger wollte das Rechtsgeschäft nicht länger gegen sich geltend lassen. Er verlangte deshalb Rückzahlung der gezahlten Entgelte abzüglich der bereits erhaltenen Holzerlöse Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus den Verträgen.
Entscheidungsgründe des BGH
Der BGH bestätigte die Vorinstanzen und entschied zugunsten des Klägers. Die wesentlichen Entscheidungsgründe sind wie folgt:
1. Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte:
Gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c und Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 LugÜ II sind deutsche Gerichte international zuständig, da der Kläger als Verbraucher handelte und die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit auf Deutschland ausrichtete. Die in den AGB festgelegte Zuständigkeit der Schweizer Gerichte wurde nach Art. 17 LugÜ II für unwirksam erklärt.
2. Anwendbarkeit des deutschen Rechts:
Trotz der Wahl des Schweizer Rechts in den AGB der Beklagten unterliegen die Verträge gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO dem deutschen Recht, da die Dienstleistungen der Beklagten auf Deutschland ausgerichtet waren. Die Rechtswahlklausel war aufgrund des Günstigkeitsprinzips nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO irrelevant.
3. Bestehen eines Widerrufsrechts:
Der Kläger hatte ein Widerrufsrecht nach § 312d Abs. 1 BGB aF, das nicht gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB aF ausgeschlossen war. Das „Teakinvestment“ wurde als langfristige Investition betrachtet, bei der der spekulative Charakter nicht den Kern des Geschäfts ausmachte.
4. Keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung:
Da der Kläger nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, begann die Widerrufsfrist nicht zu laufen, sodass der Widerruf auch Jahre später noch wirksam war.
5. Finanzdienstleistungsvertrag:
Die Verträge wurden als Finanzdienstleistungsverträge eingestuft, da die wesentliche Leistung der Beklagten in der Verwaltung und Verwertung der Bäume bestand und nicht im reinen Verkauf der Bäume. Dies entspricht der Definition von Finanzdienstleistungen gemäß Art. 2 Buchst. b RL 2002/65/EG.
Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil des BGH hat weitreichende Implikationen für den Online-Handel mit Investitionsgütern. Es stellt klar, dass auch komplexe Vertragskonstruktionen, die Elemente des Kaufs und der Dienstleistung kombinieren, dem Verbraucherschutz unterliegen und ein Widerrufsrecht begründen können. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie ihre Kunden ordnungsgemäß über deren Widerrufsrechte informieren, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Für Verbraucher bietet das Urteil zusätzlichen Schutz und die Möglichkeit, sich auch nach Jahren noch von unvorteilhaften Verträgen zu lösen.
Fazit
Das Urteil des BGH vom 15. Mai 2024 ist ein bedeutender Schritt zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Bereich des Fernabsatzes von Investitionsgütern. Es verdeutlicht, dass auch bei speziellen Investitionsformen wie dem Kauf von Teakbäumen ein Widerrufsrecht besteht, sofern der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Unternehmen im E-Commerce sollten dieses Urteil zum Anlass nehmen, ihre Vertrags- und Informationspraxis zu überprüfen und anzupassen, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Verbraucher können sich durch dieses Urteil auf einen erweiterten Schutz berufen, der ihnen mehr Sicherheit und Transparenz bei langfristigen Investitionen bietet. Auch, wenn nach deutschem Zivilrecht ein Urteil nur inter partes, also zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten Parteien wirkt, so hat das Urteil doch Indizwirkung für vergleichbare Vertragskonditionen. Wer also ähnlich dem Kläger Teakholz in Costa Rica oder sonst wo erworben hat, hat gute Chancen, wenn keine Widerrufsbelehrung erfolgt ist, sich vom Vertrag zu lösen, wenn sich dieser nicht so entwickelt hat, wie sich der Käufer das bei Vertragsschluss vorgestellt hat.