Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in der deutschen Rechtsordnung. Doch auch sie hat Grenzen, insbesondere im Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsgericht Berlin hat sich in einem aktuellen Urteil (Urt. v. 05.12.2024 – 58 Ca 4568/24) mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit ein Gewerkschaftsmitglied für Äußerungen gegenüber seinem Arbeitgeber abgemahnt werden darf, wenn diese als Schmähkritik gewertet werden. Das Urteil verdeutlicht die Balance zwischen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG, der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG und den arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten.
Der Fall: Schmähkritik im gewerkschaftlichen Kontext
Der Kläger, ein Vorstandsmitglied der ver.di-Betriebsgruppe und freigestelltes Personalratsmitglied, hatte zusammen mit dem Vorstand der Betriebsgruppe einen Aufruf auf der Internetpräsenz der Gewerkschaft veröffentlicht. Darin warf er seinem Arbeitgeber, der Freien Universität Berlin, unter anderem tarifwidriges Verhalten, Mitbestimmungsfeindlichkeit und eine antidemokratische Haltung vor. Darüber hinaus wurde behauptet, die Universität fördere indirekt den Aufstieg der AfD, indem sie Tätigkeiten an Fremdfirmen vergebe, die vorwiegend mit migrantischen Arbeitnehmern besetzt seien.
Die Universität sah in diesen Äußerungen eine Verletzung der Treuepflicht des Arbeitnehmers und erteilte ihm eine Abmahnung. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte.
Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Berlin
Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab und erklärte die Abmahnung für rechtmäßig. Es stellte fest, dass die Äußerungen in dem Aufruf als Schmähkritik einzustufen sind, die weder von der Meinungsfreiheit noch von der Koalitionsfreiheit gedeckt ist.
1. Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG
Das Gericht erkannte an, dass die streitigen Äußerungen grundsätzlich Meinungsäußerungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 GG sind, da sie wertende Elemente enthalten. Allerdings ging es davon aus, dass diese die Grenzen zulässiger Kritik überschreiten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts endet der Schutz der Meinungsfreiheit dort, wo Äußerungen nicht mehr der Auseinandersetzung in der Sache dienen, sondern ausschließlich darauf abzielen, eine Person oder Institution herabzuwürdigen. Die Vorwürfe gegen die Universität, wie die Förderung eines Rechtsrucks und tarifwidriges Verhalten, seien weder durch Tatsachen belegt noch sachlich begründet. Vielmehr handele es sich um ehrverletzende Behauptungen, die den Ruf der Universität schädigen sollen.
2. Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG
Der Schutz der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG umfasst zwar grundsätzlich auch das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung und das Eintreten für Arbeitnehmerinteressen. Das Gericht stellte jedoch klar, dass dieser Schutz nicht uneingeschränkt ist. Insbesondere schließe er keine Schmähkritik mit ein, die den Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung verlässt.
3. Verletzung der Loyalitätspflichten
Nach § 241 Abs. 2 BGB besteht für Arbeitnehmer die Nebenpflicht, auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Das Gericht sah diese Pflicht durch die ehrverletzenden Äußerungen verletzt. Die Kritik des Klägers sei weder sachlich noch verhältnismäßig, sondern diffamierend. Diese Pflichtverletzung rechtfertige die Abmahnung.
Relevante Rechtsprechung und Einordnung
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin reiht sich in eine lange Linie von Entscheidungen ein, die die Grenzen der Meinungsfreiheit und die arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten abstecken. Der Bundesgerichtshof (BGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) haben wiederholt entschieden, dass auch überspitzte oder polemische Kritik im Arbeitsverhältnis erlaubt sein kann, solange sie nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreitet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91).
Die Rechtsprechung betont dabei, dass Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse haben, Missstände öffentlich anzuprangern. Dieses Interesse endet jedoch, wenn die Kritik ausschließlich auf Herabwürdigung abzielt oder den Ruf des Arbeitgebers grundlos schädigt.
Fazit
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin zeigt exemplarisch, wie schwierig die Abgrenzung zwischen zulässiger Kritik und Schmähkritik im Arbeitsrecht sein kann. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass auch im Kontext von Gewerkschaftsarbeit und kollektiven Aktionen die Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gilt. Insbesondere ehrverletzende und unsachliche Äußerungen können arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen nach sich ziehen.
Arbeitgeber wiederum sind gut beraten, solche Fälle sorgfältig zu prüfen und sich an der bestehenden Rechtsprechung zu orientieren, um nicht vorschnell Maßnahmen zu ergreifen. Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, in Konfliktsituationen den rechtlichen Rahmen genau zu beachten, um sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberrechte zu wahren.