Kinder, die durch ein sog. Berliner Testament beim ersten Erbfall enterbt und damit auf den Pflichtteil gesetzt werden, erleben oft eine böse Überraschung, wenn sie den Pflichtteil noch nicht geltend machen konnten, weil kurze Zeit später auch der zweite Elternteil verstorben ist oder aber den Pflichtteil gegen den überlebenden Elternteil aus moralischen Gründen nicht geltend gemacht haben bzw. nicht geltend machen wollten, weil für diesen Fall im Testament durch eine Wohlverhaltensklausel geregelt war, dass sie dann auch beim zweiten Erbfall auf den Pflichtteil gesetzt werden. Da bei einer solchen Regelung für die Kinder der Erbschaftsteuerfreibetrag des erstversterbenden Elternteils verloren geht, kam es in der Praxis immer wieder vor, dass nunmehr das Finanzamt von den Kindern auch für den Vermögenswert, der an sich als Pflichtteil im ersten Erbfall steuerfrei hätte erworben werden können, Erbschaftsteuer haben wollten.
Dieser Praxis ist der BFH nun mit Urteil vom 19.02.2013 (II R 47/11) entgegengetreten und hat entschieden, dass ein Pflichtteilsanspruch gem. § 10 Abs. 3 ErbStG erbschaftsteuerrechtlich bestehen bleibt, auch wenn der Anspruch zivilrechtlich dadurch erlischt, dass der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe des Verpflichteten wird. Macht der Berechtigte in diesem Fall den Pflichtteilsanspruch (steuerlich) geltend, ist dieser erbschaftsteuerlich durch Abzug vom Nachlass zu berücksichtigen.
Hinweis:
Auch, wenn wirtschaftlich der Alleinerbe des letztversterbenden Elternteils bereits den Wert des Pflichtteils als Erbe im zweiten Nachlass erhalten hat, so kann jedenfalls die steuerliche Geltendmachung des Pflichtteils trotzdem sinnvoll sein, weil dann der Wert des Pflichtteils steuerlich aus dem Nachlass des zweiten Erbfalls herausgerechnet und dem ersten Erbfall zugeschlagen wird. Hierdurch können im Einzelfall, jedenfalls dann, wenn im zweiten Erbfall der Steuerfreibetrag überschritten ist, Erbschaftsteuern gespart werden.
Rechtsanwalt Graf ist Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e.V.). Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig vom Amtsgericht Wolfratshausen als Nachlasspfleger bestellt.
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Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
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