In einem aktuellen Fall vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (12 Sa 54/22), in dem von unserer Kanzlei erfolgreich der Arbeitgeber vertreten wurde, wurde die Frage diskutiert, ob ein gelernter Bankkaufmann, der sich auf zwei Stellen in einem medizinischen Unternehmen beworben hatte und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, Anspruch auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG hat oder aber der dem geltend gemachten Anspruch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegengehalten werden kann. Der Hintergrund: In den Stellenanzeigen war von einem „jungen Team mit einem sehr guten Betriebsklima“ die Rede und der Kläger war zum Zeitpunkt der Bewerbung 48 Jahre alt. Der Kläger vertrat dabei die Auffassung, die Formulierung „junges Team“ indiziere eine Altersdiskriminierung, weswegen er zu entschädigen sei. Daneben machte er noch Auskunftsansprüche und Entschädigungsansprüche nach der DSGVO geltend.
Erstinstanzliche Entscheidung und Berufung
Das Arbeitsgericht Heidelberg (Urteil vom 24.06.2022, 10 Ca 350/21) hatte die Klage in erster Instanz zurückgewiesen, sich dabei aber geflissentlich eine Entscheidung über die Frage, ob der Kläger rechtsmissbräuchlich handelt, dadurch entzogen, dass es die Klage bereits deshalb abgewiesen hat, weil nach seiner Auffassung die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht eingehalten worden war. Dies deshalb, weil der Kläger am Tag des Fristablaufs zwar per E-Mail einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten geltend gemacht hatte, diese E-Mail aber erst kurz vor 19:00 Uhr bei dieser eingegangen war, so dass nach Auffassung des Gerichts an einem normalen Werktag nicht mehr mit einem Zugang im Sinne von § 130 BGB am selben Tag zu rechnen sei. Auch alle Ansprüche nach der DSGVO hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Am Ende hat dann das Arbeitsgericht noch kurz seine Ansicht zur Frage, ob der Kläger rechtsmissbräuchlich gehandelt hat, dargetan und dazu ausgeführt:
„Der Kammer liegen zu sämtlich gestellten Anträgen auch Hinweise dafür vor, dass von Rechtsmissbrauch ausgegangen werden könnte. Rechtsmissbrauch ist dann anzunehmen, wenn sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern dass es ihr darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 I AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung/oder Schadensersatz geltend zu machen (vgl. BAG, Urteil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14, veröffentlicht bei: juris online). Dabei führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten zur Unzulässigkeit der Ausübung der hiermit erlangten Rechtsstellung. Hat der Kläger sich die Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB vor. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand selbst geltend macht. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof darf sich niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen. Die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens verlangt jedoch das Vorliegen eines objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmals (vgl. EuGH Urteil vom 13.03.2014, Sices, C-155/13). Die Beklagte hat im vorliegenden Verfahren genau solche Umstände vorgetragen, die das Verhalten des Klägers als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Das Gericht ist diesen Hinweisen nicht weiter nachgegangen, ohne diese abzulehnen.“
Der Kläger legte daraufhin Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wies in einer Verfügung darauf hin, dass es nach vorläufiger Ansicht des Vorsitzenden erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers gibt.
Hintergrund der Entscheidung
Die Beklagtenseite legte dar, dass der Kläger in der Vergangenheit deutschlandweit in vielen ähnlichen Fällen AGG-Klagen erhoben hatte. Der Verdacht: Es handelte sich nicht um ernsthafte Bewerbungen, sondern um rechtsmissbräuchliche Bewerbungen mit dem Ziel, Einnahmen gemäß § 15 Abs. 2 AGG bzw. Art. 82 DSGVO zu generieren. Der Kläger hätte die Stellen nie wirklich antreten wollen.
Der Kläger bestritt dies und behauptete, sich ernsthaft beworben zu haben. Das Gericht wies ihn jedoch auf seine prozessuale Wahrheitspflicht hin und erinnerte an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die die mögliche Strafbarkeit von sog. „AGG-Hoppern“ aber auch dessen Rechtsanwalt thematisiert:
„In den Fällen, in denen die Gegenseite im Prozess den Rechtsmissbrauchseinwand erhoben und als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei behauptet hat, der Angeklagte habe sich nur zum Schein und allein deshalb beworben, um eine Entschädigung verlangen zu können, liegt eine Täuschung durch eine ausdrückliche Erklärung vor, wenn der Angeklagte dieses Vorbringen explizit bestritten hat. Gleiches gilt in den Fällen, in denen der Angeklagte im Prozess schriftsätzlich hat vortragen lassen, er habe sich subjektiv ernsthaft beworben.“ (BGH 4. Mai 2022 – 1 StR 3/21 –, BGHSt 67, 55, Rn. 52)
Der Kläger wird aufgefordert, bis spätestens 11.04.2023 eindeutig zu erklären, ob er im hiesigen Verfahren weiterhin an der Behauptung festhält, er habe sich ernsthaft auf die Stelle beworben und sie im Falle der Zusage auch angetreten.“
Der Kläger trat dann den geordneten Rückzug an und hat die Berufung zurückgenommen, um damit ein weiteres gegen ihn gerichtetes Urteil zu vermeiden.
Bedeutung der Entscheidung
Das Gericht stellte klar, dass die Vielzahl von gleich gelagerten Verfahren und das prozessuale Auftreten des Klägers Umstände sind, die gerichtsbekannt sein können. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass der Kläger in der Vergangenheit viele Entschädigungsklagen erhoben hat und in einigen Entscheidungen als „gerichtsbekannt für das Einreichen zahlreicher AGG-Klagen“ beschrieben wurde.
Zudem wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass für den Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr die üblichen Geschäftszeiten maßgeblich sind. Da die E-Mail des Klägers außerhalb dieser Zeiten gesendet wurde, ist die Frist des § 15 Abs. 4 AGG verstrichen.
Fazit:
Das Verfahren ist ein Meilenstein gegen das vom Kläger seit vielen Jahren praktizierte Geschäftsmodell, dass im Großraum München begonnen hatte und zwischenzeitlich deutschlandweit praktiziert worden war. Neu war diesmal nur, dass neben den sonst üblichen Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG der potenzielle Arbeitgeber auch mit Auskunftsansprüchen nach der DSGVO auf Trab gehalten wurde und zugleich einen Entschädigungsanspruch nach Art. 82 DSGVO zu einer weiteren Zahlung führen sollte. Außer Spesen nichts gewesen. Jetzt bezahlt der Kläger jedenfalls im Arbeitgeber auch noch die gesetzlichen Gebühren für das Berufungsverfahren. Es bleibt abzuwarten, ob seine Rechtsschutzversicherung dafür einspringt, oder aber angesichts der klaren Worte des LAG nun ihrerseits Regressansprüche gegen den Kläger und seinen Rechtsvertreter geltend macht.
Haben auch Sie als Arbeitgeber Probleme mit einem AGG-Hopper? Wir beraten und vertreten Sie gerne, bundesweit.