Gibt es gegen ein Urteil keine Rechtsmittel mehr, dann überlegt manche Prozesspartei, die sich durch das Urteil in ihren Grundrechten verletzt fühlt, insbesondere im Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 GG, als letzte Hoffnung eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die Frist hierfür beträgt einen Monat ab Zustellung des Urteils.
Erheblicher Zeitdruck bei Verfassungsbeschwerden gegen Urteile
Nachdem das Bundesverfassungsgericht keine Prozessakten beizieht, also der gesamte Rechtsstreit der Vorinstanzen mit allen Anlagen „mundgerecht“ aufbereitet werden muss und das Bundesverfassungsgericht nicht am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt, also alle Unterlagen innerhalb der Monatsfrist auch noch per Post oder Telefax fristgerecht eingegangen sein müssen, besteht massiver Zeitdruck. Dies erst recht, da oft erst noch ein Anwaltswechsels durchgeführt werden muss, weil ein Rechtsanwalt gesucht und gefunden werden muss, der überhaupt in der Lage ist eine Verfassungsbeschwerde zu formulieren.
Meist keine Entscheidung über Anhörungsrüge vor Ablauf der Beschwerdefrist
Gerade dann, wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu sein scheint, weil das Gericht entscheidungserheblichen Sachvortrag nicht beachtet oder Beweisanträge übergangen hat, gibt es aber auch noch die Möglichkeit bei den Instanzgerichten eine Anhörungsrüge, § 321 a ZPO bzw. § 33 StPO, einzureichen. Die Crux besteht dabei darin, dass die Frist hierfür 2 Wochen beträgt, und regelmäßig das Gericht über diese nicht entschieden hat, bevor die vorgenannte Monatsfrist abläuft. Sollte also einem Gericht wirklich nur ein Flüchtigkeitsfehler passiert sein, in dem etwas übersehen wurde, auf das man nun das Gericht hinweist und es deshalb die Verhandlung wieder öffnet, dann sind die Kosten und Mühen für eine Verfassungsbeschwerde völlig unnötig produziert worden. Da über die Gehörsrüge aber der Richter entscheidet, der bereits das Urteil erlassen hat, halten viele Prozessparteien, die sich in einer solchen Situation befinden, es für reine Zeit- und Geldverschwendung neben der Verfassungsbeschwerde auch noch eine Anhörungsrüge bei den Instanzgerichten einzureichen.
Fehlende Anhörungsrüge führt aber zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Das, was aus den vorgenannten Gründen nicht von der Hand zu weisen ist, ist allerdings prozessual fatal, weil das Bundesverfassungsgericht sich stets auf dem Grundsatz der Subsidiarität beruft, also darauf, dass seine Zuständigkeit erst dann beginnt, wenn bei den Instanzgerichten kein Rechtsschutz mehr zu erlangen ist und daher die Anhörungsrüge als vorrangig ansieht. Wer also bei der Formulierung einer Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung des Rechtswegs vorträgt und nicht auch vortragen, und vor allen Dingen nachweisen kann, dass fristgerecht eine Anhörungsrüge beim Instanzgericht erhoben worden ist, der bekommt, schneller als ihm lieb ist, vom Bundesverfassungsgericht die Nachricht, dass seine Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wird (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Januar 2023, 2 BvR 2697/18 sowie 2 BvR 1217/19). In den vorgenannten Fällen hatte das Bundesverfassungsgericht zwar durchaus Zweifel an der Verhandlungsführung der Instanzgerichte angemeldet, aber gleichwohl sich auf den Grundsatz der Subsidiarität zurückgezogen und nicht zur Sache entschieden, sondern die Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen. Die Richter am Bundesverfassungsgericht gaben sich dabei zu vorsichtig, dass dann, wenn einmal das Instanzgericht darauf hingewiesen worden wäre, dass es eine Beweisantrag unzulässig übergangen hat und in anderen Verfahren eine Beweiserhebung über die strittige Frage, wann ein Strafbefehl zugestellt worden ist, zu Unrecht abgelehnt hatte, die Instanzgerichte selbst ihre Fehler korrigiert hätten …
Verwunderlich ist dabei allerdings, dass, nachdem es sich um Verfahren aus den Jahren 2018 und 2019 handelt, das Bundesverfassungsgericht sich dann doch mehrere Jahre Zeit lässt, um die beiden Verfassungsbeschwerden wegen formeller Fehler, die bereits bei der Erhebung hätten bemerkt werden können, zurückweist. Rechtsuchende über Jahre hinweg in dem Glauben zu lassen, das Bundesverfassungsgericht würde sich mit ihrer Angelegenheit beschäftigen, können sich hier nur wundern. Im Vertrauen in den Rechtsstaat ist dies nicht zuträglich.
Deshalb merke: soll bei Bundesverfassungsgericht ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gerügt werden, dann muss vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zwingend auch eine Anhörungsrüge beim Instanzgerichten eingereicht werden, auch wenn man diese in der Sache keinerlei Erfolgsaussichten einräumt. Recht kann manchmal für Otto Normalverbraucher unverständlich formell sein. Das Bundesverfassungsgericht geht dabei sogar so weit, dass selbst dann, wenn das fehlende rechtliche Gehör nicht gerügt werden soll, aber ein deutlicher Hinweis auf den übergangenen Vortrag zur Korrektur der angegriffenen Grundrechtsverletzung durch das Fachgerichtes hätte führen können, zwingend zunächst eine Anhörungsrüge beim Instanzgericht eingereicht werden muss.