Der Arbeitgeber kann bei der Ermittlung der Höhe des unpfändbaren Nettoeinkommens grundsätzlich von den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte ausgehen, es sei denn, dass er konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben und damit an der Zahl der unterhaltsberechtigten Personen hat (LAG Hamm, Urteil vom 15.04.2015 – 2 Sa 1325/14).
In dem vom Landesarbeitsgericht als Berufungsinstanz zu entscheidenden Fall, hatte der Kläger als Insolvenzverwalter die Beklagte als Arbeitgeber der Insolvenzschuldnerin wegen Falschberechnung der pfändbaren Beträge aus dem Einkommen der Schuldnerin in Anspruch genommen. Das Arbeitsgericht Siegen verurteilte die Beklagte antragsgemäß und führte aus, dass die Beklagte als Arbeitgeberin der Schuldnerin sich nicht auf die fehlerhaften Angaben der Insolvenzschuldnerin in der Lohnsteuerkarte berufen könne und verpflichtet sei, die tatsächlichen Unterhaltspflichten der Insolvenzschuldnerin zu ermitteln. Auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte habe die Beklagte nicht vertrauen dürfen, weil die steuerrechtliche Behandlung von Unterhaltspflichten mit Pfändungsfreibeträgen, die im Rahmen des § 850 c ZPO zu berücksichtigen seien, nichts zu tun hätte.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Beklagte Berufung ein und obsiegte. Das Landesarbeitsgericht führte in der Begründung aus, dass zwar mit dem Arbeitsgericht zunächst davon auszugehen sei, dass es bei einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss oder einer Insolvenz des Arbeitnehmers grundsätzlich eine Aufgabe des Drittschuldners – hier Arbeitgeber- ist, die Höhe des im Einzelfall konkret nach § 850 ff. ZPO pfändbaren Nettoeinkommens des Schuldners zu ermitteln und dem Arbeitnehmer lediglich Mitwirkungspflichten obliegen. Es entspreche allerdings den im Lohnpfändungsrecht besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktibilität, dass sämtliche Beteiligten, insbesondere Gläubiger und Drittschuldner, leicht und zuverlässig feststellen können, welcher Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners gepfändet ist. Im Regelfall, von dem für die Festlegung der Maßstäbe der Lohnpfändung als einem Masseverfahren grundsätzlich auszugehen ist, haben Gläubiger und Drittschuldner gar nicht die Möglichkeit, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, weil sie meist die Familien- und Vermögensverhältnisse des Schuldners und seiner Angehörigen nicht näher kennen. Bei einer entsprechenden Überprüfungs- und Feststellungspflicht würden sie sich dem Risiko aussetzen, dass ihre Einschätzungen späterer gerichtlicher Überprüfung nicht standhalten und erhebliche Nachteile an Schadens- und Kostenfolgen für sie nach sich ziehen. Materielle Fragen des Unterhaltsrechts hat daher der Drittschuldner selbst nicht nachzuprüfen und verantwortlich zu klären. Da es nicht sachgerecht wäre, dem Arbeitgeber als Drittschuldner die Aufklärungslast – und das damit verbundene Risiko – für ihm nicht zugängliche Tatsachen zur differenzierten Beurteilung materieller Unterhaltsfragen aufzuerlegen, geht die Berufungskammer davon aus, dass der Arbeitgeber grundsätzlich von den Auskünften des Schuldners und den Angaben in der Lohnsteuerkarte ausgehen kann.
Diese bedeute jedoch nicht, so das Gericht, dass er diese Angaben auch dann zugrunde legen kann, wenn er konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben hat. In diesem Fall muss er den begründeten Anhaltspunkten soweit es ihm möglich ist, nachgehen, weil anderenfalls das Risiko besteht, dass eine Überzahlung an den Schuldner geleistet wird, die grundsätzlich keine den Gläubiger gegenüber wirksame Erfüllung darstellt, so dass der Drittschuldner an den Gläubiger nochmals den fehlenden Betrag leisten muss.