In Deutschland gilt die Testierfreiheit. Dies bedeutet, dass jeder mit Verfügung von Todes wegen (= Testament) seinen Erben bestimmen kann. Das deutsche Erbrecht sieht dabei auch vor, dass Personen aus dem engsten Umfeld, beispielsweise der Ehegatte, aber auch Kinder und Eltern, enterbt werden können. In derartigen Fällen greift allerdings das sog. Pflichtteilsrecht ein, d.h., der Enterbte hat einen Anspruch auf seinen Pflichtteil. Dies bedeutet, dass dieser zwar nicht Erbe des Verstorbenen wird, gleichwohl aber gegen den oder die Erben einen Anspruch auf Geld hat. Die Höhe des Pflichtteils bemisst sich dabei nach der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, § 2303 BGB. Pflichtteilsberechtigt sind neben Ehegatten und Abkömmlingen auch die Eltern des Erblassers. Wer als Erblasser rechtzeitig beginnt Vermögen zu übertragen, der kann zwar gegebenenfalls den Pflichtteilsanspruch der Höhe nach verringern. Ausschließen kann er ihn grundsätzlich aber nicht.
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte sich schwerer Verfehlungen gegen den Erblasser schuldig macht, § 2333 BGB, also beispielsweise den Erblasser schlägt oder schwer beleidigt. In derartigen Fällen kann ausnahmsweise auch der Pflichtteil entzogen werden (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 5.10.2016 – 16 O176/13).
Tochter schlägt Vater mehrfach mit Hand ins Gesicht und bezeichnet ihn als Dreckschwein, Aschloch, Idiot und wünscht ihm er möge verrecken
Im entschiedenen Rechtsstreit war ein Vater heftig mit seiner Tochter aneinandergeraten. Nachdem diese ihren Ehemann und ihre drei minderjährigen Kinder verlassen hatte, um eine Beziehung mit einem verheirateten Mann einzugehen, missbilligte der Erblasser das Verhalten seiner Tochter. Diese rastete daraufhin aus, schlug ihm mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, bezeichnete ihn als Dreckschwein, Arschloch und Idioten und wünschte ihm er möge verrecken.
Die gescheiterte Ehe seiner Tochter vermochte der Vater nicht wieder zu kitten. Das Fehlverhalten seiner Tochter fand aber Niederschlag in seinem Testament, in dem er diese nicht nur enterbte, sondern ihr auch dem Pflichtteil entzogen. Dazu schrieb er im Testament:
„Meine Tochter hat mich Ende April 1996 am Tage ihres Auszuges aus dem Hausanwesen geschlagen. Bei diesem Vorfall waren mein Schwiegersohn sowie meine andere Tochter anwesend.“
Nach Ableben des Vaters beansprucht Tochter gleichwohl dem Pflichtteil
Reue oder Scham kannte die Tochter offensichtlich nicht. Denn nach Ableben ihres Vaters machte sie gleichwohl den Pflichtteil geltend. Allerdings ohne Erfolg, denn die mit der Angelegenheit befasste Richter waren der Meinung, dass die Tochter sich aufgrund des oben genannten Vorverhaltens einer schweren Verfehlung gegen ihren verstorbenen Vater iSv § 2333 BGB schuldig gemacht habe, so dass der Vater berechtigt gewesen sei den Pflichtteil zu entziehen. Die Richter sahen im Verhalten der Tochter auch eine schwere Pietätsverletzung, die für die Entziehung des Pflichtteils erforderlich ist. Denn die Tochter hat durch die von ihr ausgeübten mehrfahren Schläge ins Gesicht die dem Vater geschuldete familiäre Achtung schwer verletzt, zumal sie ihn auch in gröbster und verletzendster Art und Weise im Beisein weiterer Personen beleidigt hat.
So konnte der Vater letztendlich doch noch postum das Fehlverhalten seiner Tochter sanktionieren.
Sollten auch Sie beabsichtigen einem Pflichtteilsberechtigten dem Pflichtteil zu entziehen, dann muss diese Erziehung nicht nur ausdrücklich angeordnet werden, sondern es muss auch der konkrete Grund genannt und die Handlung beschrieben werden, wegen derer der Pflichtteil entzogen werden soll. Soll eine Straftat zum Anlass genommen werden den Pflichtteil zu entziehen, dann sollte auch das maßgebliche Gerichtsurteil nebst Aktenzeichen benannt werden. Wir beraten Sie gerne.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.