Aus den Augen aus dem Sinn, lautet eine Redensart. Gemeint ist damit, dass man denjenigen, den man nicht mehr sieht, vergisst. Dass diese Redensart auch rechtliche Relevanz haben kann, zeigt ein Fall, der nunmehr vom Schleswig-Holsteinischen OLG mit Beschluss vom 12.11.2014 (2 W 56/14) letztinstanzlich entschieden wurde. Dort wollte eine Frau ihren Bruder, der 1984 als junger Mann nach Amerika ausgewandert war und danach mit seiner Schwester keinen persönlichen Kontakt mehr hatte nach dem VerschG für tot erklären lassen. Dies deshalb, weil der gemeinsame Vater, der in zweiter Ehe verheiratet war, verstorben war und seine 2. Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt hatte, so dass die Kinder aus erster Ehe lediglich einen Pflichtteilsanspruch hatten. Wäre also nunmehr der Sohn für tot erklärt worden, dann hätte sich dementsprechend der Pflichtteilsanspruch der Schwester verdoppelt.
Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens nach dem Verschollenheitsgesetz forderte das Amtsgericht den Betroffenen mit einem im Februar 2014 an der Gerichtstafel ausgehängten Aufgebot, das auch in der Lokalpresse veröffentlicht wurde, auf sich bis Anfang April 2014 zu melden und erklärte diesen schließlich, nachdem er sich nicht gemeldet hatte, für tot.
Die dagegen gerichtete Beschwerde der Witwe des verstorbenen Vaters zum OLG führte allerdings dazu, dass die Richter den Beschluss über die Todeserklärung wieder aufgehoben haben, weil nach ihrer Überzeugung die Voraussetzungen für eine Todeserklärung nicht vorgelegen hätten.
Die Schwester des Betroffenen hat bereits durch ihre Angaben, so die Richter, nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass „ernstliche Zweifel an dem Fortleben“ des vermissten Bruders bestehen (§ 1 Verschollenheitsgesetz). Für die Annahme der Verschollenheit genügt es nicht, dass die Schwester zu ihrem Bruder keinen Kontakt mehr gehabt hat, seit er vor circa 30 Jahren in die USA ausgewandert ist, und seine Anschrift nicht kennt.
Dass der Bruder auch nach dem Tod der Mutter im Jahre 2001 keinen Kontakt zu der Schwester gesucht hat, ist jedenfalls angesichts seines geringen Interesses an der Familie in Deutschland ohne Weiteres auch im Falle seines Fortlebens erklärbar. Der Betroffene ist aus freien Stücken in die USA ausgewandert und hat den Kontakt zu Teilen seiner Familie bewusst abgebrochen.
Selbst, wenn die Mutter vor ihrem Tod ohne Angabe von Details erklärt haben sollte, dass ihr Sohn verstorben sei, kann dies unter Berücksichtigung ihres früheren Verhaltens auch daran liegen, dass sie weiter „dichtgemacht“ hat und nicht über ihren Sohn reden wollte. Das Lebensalter des im Jahr 1958 geborenen Mannes lässt es auch nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass er bereits verstorben ist. Über körperliche oder psychische Erkrankungen ist ebenso wenig bekannt wie über besondere Gefahren für sein Leben.
Die Schwester hat auch keinerlei weitere Tatsachen genannt, die auf ein Ableben des Bruders hindeuten. Eine Vielzahl weiterer Ermittlungsmöglichkeiten ist nicht genutzt. Dabei hätte es nahe gelegen, zumindest auf dem ohne Schwierigkeiten zugänglichen Weg über das Internet Informationen einzuholen, um etwas über das Schicksal des Bruders zu erfahren. Bei einer Internetrecherche über Suchmaschinen ergeben sich innerhalb weniger Minuten etliche vielversprechende Ermittlungsansätze zum Auffinden des Bruders oder zur Klärung seines Verbleibs.
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Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.