Muss im Unternehmen Personal abgebaut werden, dann ist, wenn innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte Anzahl von Kündigungen ausgesprochen werden muss bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit vor Ausspruch der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige zu machen. Dies ist in § 17 KSchG so geregelt. Fehlt diese gänzlich oder ist sie fehlerhaft, dann ist allein deswegen die Kündigung unwirksam.
Dass dabei oft der Teufel im Detail steckt, zeigt ein Urteil des BAG vom 13.02.2020 (6 AZR 146/19) in dem nun in letzter Instanz das Bundesarbeitsgericht den Kündigungsschutzklagen mehrere Air Berlin Piloten stattgegeben hat, weil vor Ausspruch der Kündigung fehlerhafte Massenentlassungsanzeige abgegeben worden waren. Die Anzeigen waren bei der falschen Agentur für Arbeit eingereicht worden und hatten auch nicht die erforderlichen Pflichtangaben enthalten.
Massenentlassungsanzeige für am Standort Düsseldorf beschäftigten Piloten bei der Agentur für Arbeit Berlin-Nord
Der Kläger war bei Air Berlin als Pilot am Einsatzort Düsseldorf beschäftigt. Nachdem am 01.11.2017 das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet worden war, war ihm Ende November 2017, wie allen anderen Piloten auch, wegen Stilllegung des Flugbetriebs gekündigt worden. Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen denen die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet waren. Eine solche Station gab es auch am Flughafen Düsseldorf. Vor Ausspruch der Kündigung hatte Air Berlin eine Massenentlassungsanzeige für den angenommenen Betrieb „Cockpit“ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit Personal erstattet. Die Anzeige erfolgte wegen der zentralen Steuerung des Flug Berlins bei der für den letzte Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin Nord.
Mehrere Piloten ziehen gegen die Kündigung vor Gericht
Trotz der Insolvenz gingen mehrere Piloten, so auch der Kläger, gegen die ausgesprochenen Kündigungen vor dem Arbeitsgericht vor. Er bestritt nicht nur die Stilllegungsentscheidung, weil der Flugbetrieb durch andere Fluggesellschaften teilweise fortgeführt werde, sondern er rügte auch die Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige, weil diese nicht in Düsseldorf, sondern in Berlin erstattet worden war und auch inhaltlich zu beanstanden sei.
Air Berlin verteidigte sich insoweit damit, dass es tarifvertraglich getrennt organisierte Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal gibt.
Massenentlassungsanzeige fehlerhaft, weil Arbeitsagentur in Düsseldorf zuständig gewesen wäre
Während der Kläger sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch dem Landesarbeitsgericht unterlegen ist, war seine Revision zum BAG erfolgreich. Zur Begründung haben die Richter ausgeführt, dass nach § 17 Abs. 1 KSchG der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit, bevor in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt, eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten müsse. Diese Regelung beruhe auf einer Umsetzung der unionsrechtlichen Verpflichtung aus Art. 3 der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG). Der Betriebsbegriff im Sinne der vorgenannten Vorschrift sei deshalb unionsrechtlich determiniert. Deshalb habe es sich bei den Stationen, die Air Berlin an unterschiedlichen Flughäfen unterhalten habe um Betriebe im Sinne dieser Vorschrift gehandelt mit der Folge, dass die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf und nicht bei der Agentur für Arbeit in Berlin-Nord hätte erfolgen müssen. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtung seien nämlich die Auswirkungen der Massenentlassung, denen nach dem Willen des Gesetzgebers frühzeitig durch die Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegengetreten werden soll, soweit es den Kläger betrifft, in Düsseldorf und nicht in Berlin eingetreten.
Massenentlassungsanzeige auch inhaltlich fehlerhaft
Weiter haben die Richter beanstandet, dass die Massenentlassungsanzeige auch inhaltlich fehlerhaft gewesen sei, weil diese sich nicht habe auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränken dürfen. Aufgrund der Struktur in unterschiedliche Stationen, die als eigene Betriebe einzustufen sei, hätten nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG im Rahmen der Anzeige auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfasst werden müssen.
Anmerkung:
Da es sich um keinen Einzelfall handelt, sondern mehrere Piloten geklagt hatten, die allesamt mit ihren Klagen erfolgreich waren, kommt dieser Fehler die Insolvenzmasse von Air Berlin teuer zu stehen. Dies deshalb, weil nicht nur wegen Verstoß gegen § 17 KSchG nach § 134 BGB die Kündigungen unwirksam sind, so dass die Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist neu gekündigt werden müssen, sondern die betroffenen Arbeitnehmer haben für die Dauer der Nichtbeschäftigung nach § 615 BGB auch einen Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn während der gesamten Prozessdauer. Sie müssen sich lediglich anderweitig erworbenen Verdienst oder Verdienst den zu erwerben sie böswillig unterlassen haben anrechnen lassen. Da im Ergebnis zu erwarten ist, dass in der Zwischenzeit alle Arbeitnehmer wieder anderweitig in Lohn und Brot sind, und es jedenfalls bei Air Berlin keine Weiterbeschäftigung gibt, dürfte nunmehr der Weg offen sein für alle ein finanzielles Paket zu schnüren, um die langjährigen Rechtsstreitigkeiten um die Rechtmäßigkeit der Kündigungen aus Arbeitnehmersicht zu „vergolden“.