In der arbeitsrechtlichen Praxis stellt sich häufig die Frage, ob ein Arbeitnehmer, der während der Kündigungsfrist von der Arbeit freigestellt wurde, verpflichtet ist, bereits vor Ablauf dieser Frist eine neue Beschäftigung aufzunehmen, um den bisherigen Arbeitgeber finanziell zu entlasten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierzu in seinem Urteil vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24) eine wegweisende Entscheidung getroffen und dies im Ergebnis verneint.
Sachverhalt
Der Kläger war seit November 2019 als Senior Consultant bei der Beklagten beschäftigt und erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 6.440 Euro. Mit Schreiben vom 29. März 2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2023 und stellte den Kläger unter Anrechnung des Resturlaubs unwiderruflich von der Arbeit frei. Nach Zugang der Kündigung meldete sich der Kläger Anfang April 2023 arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit, erhielt jedoch erst Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte übersandte ihm hingegen bereits im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote, auf die sich der Kläger jedoch erst Ende Juni bewarb. Für den Monat Juni 2023 verweigerte die Beklagte die Gehaltszahlung mit der Begründung, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, und berief sich dabei auf § 615 Satz 2 BGB.
Rechtliche Würdigung
Das BAG entschied zugunsten des Klägers und stellte klar, dass der Arbeitgeber sich durch die einseitige Freistellung während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug befindet und daher gemäß § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Eine Anrechnung nicht erzielten anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB komme nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben sei. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte nicht dargelegt, dass es ihr unzumutbar gewesen wäre, den Beschäftigungsanspruch des Klägers zu erfüllen. Daher sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen.
Einschlägige Rechtsprechung
Das BAG hat in früheren Entscheidungen bereits klargestellt, dass eine einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber regelmäßig zum Annahmeverzug führt und der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen bleibt. In der Entscheidung vom 23. Februar 2021 (Az. 5 AZR 314/20) wurde zudem festgestellt, dass bei einer vertraglich vereinbarten unwiderruflichen Freistellung eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nur bei entsprechender Vereinbarung erfolgt.
Fazit
Arbeitnehmer, die während der Kündigungsfrist einseitig freigestellt werden, sind grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Ablauf dieser Frist eine neue Beschäftigung aufzunehmen, um den bisherigen Arbeitgeber finanziell zu entlasten. Der Arbeitgeber befindet sich in einem solchen Fall im Annahmeverzug und bleibt zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Eine Anrechnung fiktiven anderweitigen Verdienstes kommt nur bei böswilligem Unterlassen des Arbeitnehmers in Betracht, was im Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist.