Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt! Wer gegenüber dem Arbeitgeber Arbeitszeiten, auch Überstunden, falsch angibt und abrechnet, der zerstört das Vertrauen in die Redlichkeit, so dass unabhängig von der Motivation des Arbeitnehmers regelmäßig eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist (BAG, Urteil vom 13.12.2018, 2 AZR 370/18).
Abteilungsleiter rechnet, um nicht gewährte Erschwerniszuschläge auszugleichen, nicht geleistete Überstunden ab
Im entschiedenen Rechtsstreit war der Kläger bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 44,5 Stunden bei der Beklagten als Abteilungsleiter beschäftigt. Geleistete Überstunden wurden gesondert vergütet. Zur Geltendmachung von Überstunden legt er der Beklagten monatlich einen sog. Forderungsnachweis vor. Dort war nur die Gesamtzahl der Überstunden genannt, die der Kläger geleistet hat. Eine Auflistung nach Tagen erfolgte nicht. Die Forderungsnachweise wurden vom Kläger mit dem Vermerk „sachlich und rechnerisch richtig“ und seitens des Fachvorgesetzten mit der Bemerkung „gesehen und anerkannt“ unterzeichnet. Eine darüberhinausgehende Kontrolle durch die Beklagte erfolgte grundsätzlich nicht. Vor der Auszahlung wurde von der Personalabteilung lediglich kontrolliert, dass alle erforderlichen Unterschriften vorhanden waren.
Bevor der Kläger Abteilungsleiter wurde zahlte ihm die Beklagte regelmäßig Erschwerniszuschläge für Arbeiten mit extremer Hitze bzw. besonders starker Schmutz- und Staubbelastung. Mit der Ernennung zum Abteilungsleiter hatte er diese Zuschläge verloren. Gleichwohl wurden sie von der Beklagten irrtümlich rund 2 Jahre weiterbezahlt. Als der Irrtum der Personalabteilung aufgefallen war, informierte eine Personalreferentin den Kläger darüber, dass ihm künftig die Erschwerniszuschläge nicht mehr gezahlt würden. Er müsse auch damit rechnen, dass er die Überzahlungen aus der Vergangenheit erstatten müsse. Der Kläger war darüber sehr erbost, weil er dies als Missachtung seiner Arbeit empfand. Die Personalreferentin „empfahl“ dem Kläger daher im Beisein des Fachvorgesetzten, künftig einfach monatlich 7 Überstunden mehr aufzuschreiben. Hierdurch würde dann wertmäßig der Wegfall der Erschwerniszulage „kompensiert“.
Anlässlich des Jahresabschlusses 2015/16, also rund drei weitere Jahre später, fielen der Beklagten Auffälligkeiten bei den Überstundenabrechnungen des Klägers auf. Dieser räumte daraufhin ein, dass nicht alle eingetragenen Überstunden in Natur geleistet worden seien, sondern teilweise einen Ausgleich für die verweigerte Erschwerniszulage darstellen würden.
Daraufhin kündigte der Arbeitgeber, nach Anhörung des Betriebsrats, fristlos.
Vertrauensverhältnis durch langjährigen Überstundenbetrug zerstört
Sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch dem Landesarbeitsgericht war die gegen die Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers zunächst erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht hat dabei ausgeführt, dass das Verhalten des Klägers, nämlich dass er von Anfang 2012 bis Anfang 2017-monatlich Forderungsnachweise vorgelegt hat, in denen teilweise tatsächlich nicht geleistete Überstunden erfasst waren, grundsätzlich geeignet sei, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kamen die Richter dann allerdings zum Ergebnis, dass die Kündigung nicht verhältnismäßig gewesen sei. Begründet hat das LAG dies damit, dass das Verschulden des Klägers maßgeblich durch dessen Beweggründe und Ziele charakterisiert werde. Aus § 46 StGB ergebe sich nämlich, dass beide Faktoren gewichtige Erkenntnismittel zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit und der Verwerflichkeit der Tat seien. So war es für die Richter am LAG nachvollziehbar, dass es der Kläger als in hohem Maße ungerecht empfunden habe, dass ihm mit seinem Aufstieg als Abteilungsleiter die Zahlung der Erschwerniszulage durch die Beklagte nicht mehr gewährt worden war und diese sogar in Erwägung gezogen habe, Überzahlungen für die Vergangenheit zurückzufordern. Hinzu komme, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb gehandelt habe, sondern zu seinem betrügerischen Handeln regelrecht von der Personalreferentin und dem Fachvorgesetzten „angestiftet“ worden sei.
LAG hat fehlerhaftes Verständnis vom Verschulden des Klägers
Die Richter am BAG haben allerdings das Verhalten des Klägers anders beurteilt, das Urteil des LAG aufgehoben und die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Nach ihrer Auffassung war nämlich die fristlose Kündigung gerechtfertigt.
Verschuldensmaßstabs ist ausschließlich § 276 BGB
Zur Begründung haben die Richter ausgeführt, dass zuvor die Richter am LAG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von einem fehlerhaften Verständnis des Rechtsbegriffs des Verschuldens ausgegangen seien. Diese hätten nämlich unter Verweis auf die Regelung des Paragrafen 46 Abs. 2 StGB auf Umstände abgestellt, die im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein. Dadurch hätten die Richter am LAG verkannt, dass es bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht um eine Sanktion für begangenes Unrecht in der Vergangenheit geht, sondern um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses einerseits sowie um die Abwägung von Interessen im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft noch zumutbar ist. Verschuldensmaßstabs sei daher ausschließlich § 276 BGB.
Interesse des Arbeitgebers an sofortiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt
Daraus ergebe sich, dass das Interesse der Beklagten das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden überwiegen würde. Der Kläger habe nämlich über einen längeren Zeitraum einen schweren Vertrauensmissbrauch begangen, indem er seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der geleisteten Arbeitszeit in der Absicht Zahlungen zu erhalten, die ihm nicht zustehen, vorsätzlich verletzt hat. Dadurch, dass der Beklagte lediglich monatlich das Gesamtaufkommen der Überstunden erfasst hat, sei eine Kontrolle für die Beklagte faktisch nicht möglich gewesen. Dass der Vorschlag den Wegfall der Erschwerniszulage durch einen Arbeitszeitbetrug auszugleichen auf Vorschlag der Personalreferentin erfolgt sei, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Gerade durch das kollusive Zusammenwirken zwischen dem Kläger einerseits und der Personalreferentin sowie dem Fachvorgesetzten andererseits wurde die Möglichkeit einer Aufdeckung des Betrugs weiter reduziert.
Schließlich konnte nach Auffassung des BAG auch der Umstand, dass der Kläger, als der Schwindel aufgeflogen war, sofort unumwunden eingeräumt hatte, dass es sich bei den zur Abrechnung gebrachten Stunden nicht ausschließlich um solche Überstunden gehandelt habe, die tatsächlich geleistet worden sind, nicht entlasten, denn es sei ihm nur darum gegangen die Beanstandung der hohen Zahl von abgerechneten und bezahlten Überstunden zu relativieren, ohne sein Fehlverhalten anzuerkennen. Dass er sich ungerecht behandelt gefühlt habe, spiele dabei keine Rolle, denn wenn er der Meinung gewesen war, dass ihm der Arbeitgeber einseitig etwas entzogen habe, worauf ihm ein Anspruch zustand, dann hätte er dies rechtlich überprüfen lassen können. Dies habe er aber gerade nicht gemacht, sondern sich einseitig dazu entschlossen, sich das zu holen, was ihm seiner Meinung nach zustünde.
Fazit:
Der Fall führt jedem Arbeitnehmer deutlich vor Augen, dass Ehrlichkeit Grundvoraussetzung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist. Wer dagegen den Arbeitgeber durch Unehrlichkeit, sei es durch Arbeitszeitbetrug oder Diebstahl schädigt, der riskiert stets die fristlose Kündigung. Gleichzeitig sollten Arbeitnehmer auch stets daran denken, dass in derartigen Fällen einem Arbeitgeber oft gar keine andere Möglichkeit bleibt, als fristlos zu kündigen. Alles andere würde nämlich ansonsten von der Belegschaft als falsches Signal verstanden werden.
Der Fall mag auf den ersten Blick krass wirken. Auf den zweiten Blick kommt Arbeitszeitbetrug in Betrieben aber öfter vor, als man glaubt. Dies beginnt im Kleinen, bei jeder privaten E-Mail, die während der Arbeitszeit geschrieben wird, geht weiter mit der Überziehung der Mittagspause oder der Rauchpause, die nicht ausgestempelt wird und findet ihren traurigen Höhepunkt in Krankmeldungen, die vorgenommen werden, obwohl in Wahrheit keine Arbeitsunfähigkeit besteht, sondern man einfach keine Lust oder etwas Besseres vorhat, als im Betrieb oder Büro zu erscheinen. Arbeitnehmer sollten deshalb immer wieder auch einmal sich in die Rolle des Arbeitgebers versetzen und sich überlegen, was sie vom eigenen Verhalten handeln würden, wenn sie auf Arbeitgeberseite stünden. Mit Empathie kann hier nämlich schnell das eigene Verhalten in ein anderes Licht gerückt und deshalb Ärger am Arbeitsplatz vermieden werden.