Macht ein Arbeitnehmer gegen eine Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der Kündigung geltend, dann schwebt über dem Arbeitgeber stets das Damoklesschwert des Verzugslohns. Dies bedeutet, dass dann, wenn sich am Ende Kündigung als unwirksam erweist, der Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht grundsätzlich nach § 615,1 BGB einen Anspruch auf Verzugslohn hat, also der Arbeitgeber das Gehalt nachbezahlen muss, obwohl der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat. Der Arbeitnehmer muss sich allerdings das anrechnen lassen, was er anderweitig erworben oder böswillig zu erwerben unterlassen hat.
Um zu verhindern am Ende des Tages den Arbeitnehmer, je nach Dauer des Rechtsstreits, vielleicht für mehrere Jahre Lohn nachbezahlen zu müssen ohne im Gegenzug eine Arbeitsleistung zu erhalten, gibt es das Rechtsinstitut des sog. Prozessarbeitsverhältnisses. Dies bedeutet, dass meistens, wenn sich zeigt, dass im Gütetermin keine Einigung erzielt werden kann, also Beendigung gegen Abfindung, der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anbietet, ihn für die Dauer des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen. Lehnt der Arbeitnehmer dann eine zumutbare Weiterbeschäftigung ab, dann ist der Arbeitgeber das Verzugslohnrisiko los, weil sich in § 11 KSchG eine korrespondierende Regelung zu § 615 S. 2 BGB befindet.
Das BAG hat nun mit Urteil vom 19.01.2022 (5 AZR 346/21) entschieden, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung mit der Begründung ablehnt, dass er seine Arbeitsleistung wegen bestehender Lohnrückstände zurückbehalte, also ein Zurückbehaltungsrecht ausübt, zur wirksamen Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts eine Bezifferung der nach Auffassung des Arbeitnehmers vorhanden Lohnrückstands erforderlich ist. Er muss dabei insbesondere den Arbeitgeber darüber aufklären, in welcher Höhe Ansprüche auf die Arbeitsagentur wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld übergegangen sind. Wird das Zurückhaltungsrecht nicht wirksam ausgeübt, dann entfällt damit der Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Streit um 63.000 € Verzugslohn nach Kündigungsrechtsstreit
Die Klägerin war bei einem Caterer mit angeschlossener Gastro seit 2016 als Marketing- und Projektmanagerin beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum 15.08.2017 aus betrieblichen Gründen.
Im Gütetermin verwies die Klägerin darauf, dass die Kündigung bereits wegen des Vorrangs der Änderungskündigung unwirksam sei, denn der Arbeitgeber habe kurz zuvor eine Stelle als Servicekraft ausgeschrieben. Der Arbeitgeber hatte ihr dann diese Stelle ab Oktober angeboten. Sie schlug das Angebot aber aus.
Nachdem die Klägerin den Rechtsstreit Ende 2018 vor dem LAG München gewonnen hatte bot Arbeitgeber eine weitere Prozessbeschäftigung, diesmal als Frühstücksservicekraft an. Die Klägerin lehnte auch diese mit Verweis auf die vorläufig vollstreckbare Entscheidung ab.
Um die Zwangsvollstreckung abzuwenden bot ihr nun der Arbeitgeber, wiederum als Prozessarbeitsverhältnis, ihren alten Arbeitsplatz zu unveränderten Bedingungen an. Aber auch dies lehnte die Klägerin ab, sondern machte nun unter pauschalen Verweis auf rückständige Vergütungsansprüche ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung gelten.
Nunmehr einigten sich die Parteien über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Kaum, dass diese Vereinbarung abgeschlossen war, machte die Klägerin erneut im Klageweg rückständigen Verzugslohn in Höhe von insgesamt 63.000 € für die Zeit von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung bis zum Abschluss des Vergleichs geltend.
Während das Arbeitsgericht München die Klage abgewiesen hat, hatte die Klägerin vor dem LAG München vollumfänglich Erfolg.
Am Ende hat das BAG der Klägerin noch die Zahlung von 22.000 € zugebilligt, im Übrigen aber die Klage abgewiesen.
Anspruch auf Annahmeverzugslohn bis zur Leistungsverweigerung
Ein Anspruch auf die Zahlung von Annahme Verzugslohn bestand nach Auffassung der obersten Arbeitsrichter nach den §§ 615 S. 1, 611a Abs. 1 i.V.m. § 293 ff BGB für die Zeit des laufenden Kündigungsrechtsstreits, also bis Ende 2018. Soweit der Arbeitgeber als Prozessarbeitsverhältnis unterwertige Beschäftigungen angeboten hatte, genüge dies, so die Richter, nicht den Annahmeverzug des Arbeitgebers zu beenden.
Soweit allerdings der Arbeitgeber danach eine Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz angeboten hatte und die Klägerin auch dies unter Verweis auf bestehende Lohnansprüche abgelehnt und insoweit ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung geltend gemacht hat, sei der Annahmeverzug nach § 297 BGB entfallen. Annahmeverzug könne, so die Richter, nur bestehen, so lange auf Seiten des Arbeitnehmers auch ein Leistungswille vorhanden sei. Diese sei aber durch die unwirksame Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach § 320 BGB entfallen. Die Arbeitnehmerin hätte vielmehr zur wirksamen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts dem Betrag, der ihr nach ihrer Auffassung zusteht, gegenüber dem Arbeitgeber beziffern müssen, damit dieser auch in der Lage sei, den Lohnanspruch in dem hier noch zustehenden Umfang zu erfüllen. Dies deshalb, weil die Arbeitnehmerin unstreitig Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (Arbeitslosengeld I) bezogen hatte und aufgrund des damit verbundenen Forderungsübergangs der Arbeitgeber, soweit die Leistung aufdeckender übergegangen ist, gar nicht an die Arbeitnehmerin bezahlen darf.
Weitere Kürzung wegen böswilliger Ablehnung der Beschäftigung als Servicekraft
Eine weitere Kürzung nahmen die Richter nach § 11 Nr. 2 KSchG vor, in dem sich die Klägerin den anderweitigen Verdienst als Servicekraft anrechnen lassen musste. Auch, wenn es sich dabei grundsätzlich um eine unterwertige Tätigkeit handelt, die nicht geeignet ist, den Annahmeverzug zu beenden, so sei hier zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Gütetermin diese Tätigkeit als zumutbar bezeichnet hatte. Die Tätigkeit dann, als sie angeboten worden ist, ohne weitere Begründung als unzumutbar abzulehnen, sei böswillig, so die Richter. Dies erst recht, da es sich nicht um eine dauerhafte Änderung des Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich um eine Prozessbeschäftigung gehandelt habe.
Anmerkung:
Der Fall verdeutlicht, dass gerade dann, wenn ein Kündigungsrechtsstreit nicht im Gütetermin durch Abschluss eines Vergleichs erledigt werden kann, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer wohlüberlegt taktieren müssen, um nicht Rechtsnachteilen zu haben. So hätte der Arbeitgeber, wenn er das Verzugslohnrisiko hätte beenden wollen, eine Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz anbieten müssen. Letztlich hatte er dann Glück, dass die Arbeitnehmerin einerseits so unüberlegt war, die unterwertige Tätigkeit als Servicekraft im Gütetermin als zumutbar zu bezeichnen und vor allen Dingen, dass das Arbeitsgericht dies auch noch protokolliert hat, so dass die Richter am BAG daran anknüpfen können. Glück deshalb, weil für gewöhnlich Äußerungen im Gütetermin, die nicht unmittelbar in den Abschluss eines Vergleichs münden nicht protokolliert werden, so dass das, was im Gütetermin gesagt oder gemacht wurde, regelmäßig in die Entscheidungsfindung des Arbeitsgerichts, insbesondere aber auch der Folgeninstanzen, nicht mehr einfließen kann. Von daher ist stets empfehlenswert, dass dann, wenn eine Äußerung erfolgt, die später von Belang sein kann, Rechtsvertreter darauf bestehen, dass das Gericht diese Äußerungen auch zu Protokoll nimmt und damit aktenkundig macht.
Dass der Arbeitgeber nicht sofort eine Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits angeboten hat, hat wiederum damit zu tun, dass der Arbeitgeber damit Gefahr läuft, seiner eigenen Kündigung den Boden zu entziehen. Wenn er nämlich einerseits aus betriebsbedingten Gründen gekündigt, andererseits aber dann die Arbeitnehmerin während eines mehrjährigen Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz weiter beschäftigen kann, der gibt damit eine Steilvorlage für die Argumentation, dass hierdurch die behauptete, der Arbeitsplatz sei ersatzlos entfallen, widerlegt sei …