Besteht gegen einen Richter die Besorgnis der Befangenheit, so kann dieser nicht nur in Strafverfahren, sondern auch im Zivilverfahren abgelehnt werden. Eine solche Besorgnis ist immer dann gegeben, wenn ein Grund vorgebracht wird, der geeignet ist Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die gesetzlichen Regelungen (§ 24 StPO bzw. § 42 ZPO) sind fachgesetzlicher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Prinzipien des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG), die garantieren, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und er die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Es kommt also im Einzelfall darauf an, ob ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Soweit zur Theorie. In der Praxis ist es natürlich so, dass Verfahrensbeteiligte, jedenfalls dann, wenn sich ein Richter, um beispielsweise eine Partei zum Vergleich zu bewegen, in ihre Richtung einschließt, schnell den Eindruck haben kann, dass der Richter befangen ist. Dass ein Richter dann aber auch tatsächlich wegen Befangenheit vom Verfahren abgezogen wird, ist aber die absolute Ausnahme. Da muss es schon sehr massiv sein, oder der Richter sich einfach ungeschickt verhalten haben. Weist beispielsweise ein Richter den Beklagten darauf hin, dass die Forderung ohnehin verjährt ist und rät ihm dazu die Einrede der Verjährung zu erheben,, ohne dass dieser selbst die Einrede der Verjährung erhoben hat, dann kann dies sicherlich die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Ebenso ist in der Rechtsprechung geklärt, dass dann die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt ist, wenn der Ehepartner des Richters, sei es selbst als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin oder Sekretärin in der Kanzlei eines Parteivertreters arbeitet.
Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt in seinem Beschluss vom 21.11.2018 (1 BvR 436/17) in einem eher ungewöhnlichen Fall die Besorgnis der Befangenheit einer Richterin am Sozialgericht deshalb angenommen, weil diese sich das Passwort für die CD einer von der Klägerin vertraulich übersandten Strafermittlungsakte besorgt, von dem Passwort aber noch nicht Gebrauch gemacht hatte.
Krankenkasse verlangt von Arzt wegen Abrechnungsbetrug rund 49.000 € zurück
Im Ausgangsverfahren hatte eine Krankenkasse gegen einen Kassenarzt auf Rückzahlung von rund 49.000 € an Honorar geklagt, weil dieser gemeinsam mit einem ihrer Versicherten einen Abrechnungsbetrug begangen haben soll. Zu diesem Zweck hat die klagende Krankenkasse dem Gericht eine passwortgeschützte CD, auf der sich die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte befand, übersandt und darauf hingewiesen, dass der Inhalt nur für das Gericht, nicht aber für die Beklagten bestimmt sei.
Die mit der Angelegenheit befasste Richterin ließ daraufhin von ihrer Geschäftsstelle telefonisch das Passwort bei der Krankenkasse erfragen
Beklagter stellt Befangenheitsantrag, der allerdings vom Sozialgericht abgelehnt wurde
Als der Beklagte davon Kenntnis erlangt hat, lehnte er die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Antrag wurde allerdings vom Sozialgericht abgelehnt, weil die Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme, die nach einem Befangenheitsantrag obligatorisch ist, angegeben hatte, sie hätte von dem Passwort nicht Gebrauch gemacht und würde auch gar nicht beabsichtigen, ihre Entscheidung Akten zugrunde zu legen, die die Beschwerdeführer nicht zur Verfügung gestanden hätten. Dies reichte den Richtern aus, um die Besorgnis der Befangenheit gegen ihre Kollegin zu verneinen.
Beklagter rügt vor dem Bundesverfassungsgericht Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter
Damit wollte sich der Beklagte aber nicht zufriedengeben, sondern zog vors Bundesverfassungsgericht.
Er war dabei der Auffassung, dass durch das Sozialgericht seien grundrechtsgleiches Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verletzt sei. Zweifel an die Unvoreingenommenheit der Richterin bestünden bereits deshalb, weil diese sich unstreitig das Passwort, das ihr einen Zugriff auf die CD ermöglicht hätte, besorgt hatte.
Besorgnis der Befangenheit bereits durch Vorbereitungshandlung begründet
Die Verfassungsrichter gaben dem Beklagten Recht, denn Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantiere jedem Rechtsuchenden, dass der Richter unabhängig und unparteilich entscheidet und den Verfahrensbeteiligten neutral und unvoreingenommen gegenübertritt. Im Einzelfall könnten auch bereits bestimmte Vorbereitungshandlungen den Eindruck der Voreingenommenheit entstehen lassen. Dies habe das SG nicht beachtet.
Die Verfassungsrichter haben dabei klargestellt, dass die Besorgnis der Befangenheit nicht bereits mit der Übersendung der CD begründet worden sei, wohl aber mit der Anforderung des Passworts. Auch, wenn die Richterin nach ihrer Stellungnahme von dem Passwort (bislang) keinen Gebrauch gemacht hatte und auch angegeben hatte, keinen Gebrauch machen zu wollen, entsteht jedenfalls mit Eingang des Passworts und der damit verbundenen Möglichkeit, jederzeit auf den Inhalt der CD zuzugreifen, bei vernünftiger Würdigung der Eindruck einer einseitigen Verfahrensführung.
Wie hätten Sie entschieden?
Im Ergebnis ist dies natürlich nachvollziehbar und zutreffend. Andererseits ist das Dilemma aber auch nur deshalb aufgetreten, weil aus nicht bekannten Gründen die Krankenkasse den Inhalt der Strafakte vor dem Beklagten geheim halten wollte. Wenn dieser aber davon Kenntnis hatte, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft, was spätestens dann der Fall ist, wenn er von der Polizei vernommen wird, dann hätte er ohnehin die Möglichkeit gehabt, durch ein Akteneinsichtsgesuch selbst Einsicht in die Strafakte zu erhalten. Hinzu kommt, dass Strafakten, wenn sie als Beweismittel angeboten werden, von Gerichten jederzeit hinzugezogen werden können. Der einzige Unterschied zum hiesigen Rechtsstreit besteht dann darin, dass dann beide Parteien davon Kenntnis haben, dass das Gericht auch den Inhalt der Strafakte kennt und nicht, so wie hier, eine Partei darüber nicht aufgeklärt werden soll. Wer selbst schon einmal ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt hat und weiß, dass Wartezeiten von mehreren Jahren üblich sind, der kann sich nur verwundert die Augen reiben, womit sich das Bundesverfassungsgericht befassen muss.