Die Digitalisierung hat die Kommunikation am Arbeitsplatz revolutioniert. Private Chatgruppen unter Kollegen sind heutzutage völlig normal. Doch was passiert, wenn in solchen Gruppen beleidigende oder diskriminierende Äußerungen über Kollegen oder Vorgesetzte getätigt werden? Kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen? Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Aspekte und bezieht sich auf ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2023 (AZ: 2 AZR 17/23), das die Revision des Arbeitgebers gegen die der Kündigungsschutzklage gegen die fristlosen Kündigungen stattgebenden Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und den Sachverhalt zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen hat.
Rechtlicher Rahmen
Nach § 626 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Der Fall TUIfly
Der Kläger war seit 2014 Mitglied einer Chatgruppe, die aus ihm und fünf weiteren Kollegen bestand. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma in diese Gruppe aufgenommen. Alle Mitglieder der Gruppe waren seit langer Zeit befreundet; zwei von ihnen waren sogar miteinander verwandt. In dieser Chatgruppe wurden nicht nur private Angelegenheiten besprochen. Der Kläger und einige andere Gruppenmitglieder äußerten sich auch in einer beleidigenden und abwertenden Art und Weise über ihre Vorgesetzten und Kollegen. Als der Arbeitgeber zufällig davon erfuhr, wurde dem Kläger und 2 anderen Mitgliedern der Gruppe fristlos gekündigt.
Die Instanzgerichte haben den gegen die Kündigungen erhobenen Kündigungsschutzklagen stattgegeben, und haben dies damit begründet, dass die Äußerungen in einem geschlossenen Kreis zwischen den Mitgliedern der Chat-Gruppe getätigt worden sind, also vertraulich gewesen seien.
Vertraulichkeit ist auch in geschlossener Chat-Gruppe nicht die Regel, sondern die Ausnahme
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt urteilte, dass Mitglieder geschlossener Chatgruppen sich bei beleidigenden, rassistischen oder sexistischen Äußerungen über Arbeitskollegen und Vorgesetzte nur im Ausnahmefall auf den Schutz durch Vertraulichkeit berufen können (AZ: 2 AZR 17/23). Nur wenn ein Arbeitnehmer in berechtigter Weise erwarten konnte, dass die gravierenden Beleidigungen von keinem Gruppenmitglied an einem Dritten weitergegeben werden und alles vertraulich bleibt, sei eine fristlose Kündigung ausnahmsweise unwirksam.
Abwägung der Interessen
Das Gericht betonte, dass die Vertraulichkeit einer Chatgruppe von deren Größe und dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten abhängt. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, dass deren Inhalt von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben wird.
Die obersten Bundesrichter haben deshalb die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das LAG zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.
Implikationen für die Praxis
Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeitswelt. Es verdeutlicht, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass Arbeitnehmer auch in privaten Chats mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen müssen. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2023 stellt klar, dass beleidigende Äußerungen in privaten Chats eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Arbeitnehmer sollten daher sehr vorsichtig sein, was sie in solchen Gruppen äußern. Die Rechtsprechung zeigt, dass der Schutz der Privatsphäre seine Grenzen hat, wenn es um das Arbeitsverhältnis geht.
Fazit:
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Diese allgemeine Weisheit gilt nach dem Urteil nicht nur im realen Leben, sondern auch bei Äußerungen in Chat-Gruppen. Konsequenz aus dem Urteil ist, dass dann, wenn kein Blatt vor den Mund genommen wird, Mitglieder einer Chat-Gruppe, um gegen Denunzianten gesichert zu sein, untereinander Vertraulichkeit vereinbaren müssen. Ohne eine explizite Vertraulichkeitsvereinbarung dürfte es nämlich schwierig sein, im Fall der Fälle zu Überzeugung der Richter des Bundesarbeitsgerichts, darzulegen, weswegen man sich sicher war, dass die getätigten Äußerungen den Kreis der Chat Teilnehmer nicht verlassen werden. Gerade dann, wenn Freundschaften auseinandergehen, Neid und Missgunst wegen Aufstieg eines Mitglieds im Unternehmen die vermeintliche Verbundenheit innerhalb der Chat-Gemeinschaft untergraben, wird Denunziantentum Tür und Tor geöffnet. Im Gegensatz zum richtigen Leben, bei dem dann gegebenenfalls Aussage gegen Aussage steht, ist aufgrund der Textaufzeichnung im Chat, das geschriebene Wort das, was den Arbeitsplatz kosten kann. Jedenfalls dann, wenn einer aus der Gruppe abtrünnig wird und Informationen an den Arbeitgeber weiterleitet.