Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) stellt im deutschen Arbeitsrecht ein zentrales Beweismittel für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar. Doch wie verhält es sich, wenn eine solche Bescheinigung im Ausland ausgestellt wird? In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass ausländischen AUs, auch aus Ländern außerhalb der EU, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie in Deutschland ausgestellten Bescheinigungen zukommt. Die Entscheidung verdeutlicht jedoch auch, dass dieser Beweiswert unter bestimmten Umständen erschüttert werden kann.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag der Fall eines Lagerarbeiters zugrunde, der bei seinem Arbeitgeber mehrfach AUs vorgelegt hatte, die im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinen Urlaubsaufenthalten standen. Im Jahr 2022 hatte der Arbeitnehmer Urlaub in Tunesien, während dessen er am 7. September 2022 von einem tunesischen Arzt eine AU bis zum 30. September erhielt. Die Bescheinigung verwies auf schwere Ischialbeschwerden und ein damit verbundenes Reise- und Bewegungsverbot. Bereits am 8. September buchte der Arbeitnehmer jedoch ein Fährticket für die Rückreise nach Deutschland am 29. September und trat diese an.
Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung, da er Zweifel an der Glaubwürdigkeit der AU hatte. Das Landesarbeitsgericht München (LAG) hatte dem Arbeitnehmer zunächst Recht gegeben. Auf die Revision des Arbeitgebers hin hob das BAG dieses Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.
Wesentliche Entscheidungsgründe des BAG
Das BAG stellte zunächst klar, dass einer AU, die außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich derselbe Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der ausstellende Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer die Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheit unterscheidet.
Das BAG betonte, dass Zweifel am Beweiswert einer AU gerechtfertigt sein können, wenn Umstände vorliegen, die in ihrer Gesamtschau ernsthafte Zweifel begründen. Im vorliegenden Fall waren insbesondere folgende Aspekte entscheidend:
- Fehlende Wiedervorstellung: Der tunesische Arzt bescheinigte eine 24-tägige Arbeitsunfähigkeit, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen.
- Verhalten des Arbeitnehmers: Der Arbeitnehmer buchte bereits einen Tag nach Ausstellung der AU ein Fährticket für die Heimreise und trat die lange Reise am letzten Tag der attestierten Ruhephase an.
- Häufigkeit der AUs: Der Arbeitnehmer hatte bereits in den Jahren 2017 bis 2020 mehrfach unmittelbar nach Urlaubsreisen AUs vorgelegt.
Das BAG war der Ansicht, dass diese Umstände isoliert betrachtet unverfänglich erscheinen könnten, in ihrer Gesamtschau jedoch ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU rechtfertigen. Das Landesarbeitsgericht habe eine solche Gesamtbetrachtung unterlassen und lediglich einzelne Aspekte isoliert gewürdigt.
Folgen für die Darlegungs- und Beweislast
Durch die Erschütterung des Beweiswerts der AU ging die volle Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitnehmer über. Dieser musste nun konkret nachweisen, dass er im betreffenden Zeitraum krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, was eine erhebliche Beweislastverschiebung darstellt.
Fazit
Die aktuelle Entscheidung des BAG unterstreicht die grundsätzliche Gleichwertigkeit ausländischer und deutscher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, stellt aber auch klar, dass der Beweiswert solcher Bescheinigungen nicht unangreifbar ist. Arbeitgeber können Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer AU insbesondere durch eine Gesamtschau der Umstände begründen.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich bei der Vorlage einer ausländischen AU bewusst sein sollten, dass Zweifel am Beweiswert nicht nur durch formale Mängel, sondern auch durch widersprüchliches Verhalten entstehen können. Arbeitgeber wiederum sollten im Zweifelsfall umfassend darlegen, welche Umstände ihre Zweifel begründen, um eine Erschütterung des Beweiswerts vor Gericht erfolgreich durchzusetzen.