Der Erwerb von Grundeigentum durch Schenkung oder von Todes wegen innerhalb der Familie ist grundsätzlich von der Grundsteuer befreit. Wie aber ist der Sachverhalt zu beurteilen, wenn zunächst Miteigentumsanteile an einem Grundstück an zum Zeitpunkt der Übertragung bereits vorhandene Kinder erfolgt und diese sich dabei verpflichten anteilige Miteigentumsanteile auf später geborene Geschwister zu übertragen, so dass dann alle leiblichen Kinder gleich behandelt werden?
Eine solche Regelung traf ein Vater, der 1988 zwei Töchtern Miteigentumsanteile zu gleichen Teilen übertrug und dabei diese im notariellen Schenkungsvertrag verpflichtete für den Fall der Geburt weiterer väterlichen Kinder ihre zukünftigen Geschwister so zu stellen, als ob diese zu denselben Bedingungen einen Miteigentumsanteil erworben hätten. Später wurde dann noch ein Sohn geboren. Diesem übertrugen die Schwestern 2012 unter Bezugnahme auf die vertragliche Verpflichtung aus dem Jahr 1988 jeweils 1/6 des Grundstücks, so dass nun alle Kinder Miteigentümer zu je 1/3 geworden sind.
Das zuständige Finanzamt setzte darauf gegen den Bruder und Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von knapp 6.000 € fest. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich, so dass das Finanzamt nunmehr im Rahmen des Revisionsverfahrens die Verletzung von § 3 Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG rügt.
Der BFH vermochte in seinem Urteil vom 16.12.2015 (II R 49/14) der Ansicht des Finanzamts nicht zu folgen, sondern ging ebenfalls von einem grundsteuerfreien Erwerb aus, weil die Übertragung von den Schwestern auf den Bruder ihre Ursache in einer freigebigen Zuwendung des Vaters hatte, also wie eine Schenkung vom Vater zu behandeln ist.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Steuerbefreiung des Erwerbs ergibt sich aufgrund der Zusammenschau (Interpolation) der Vorschriften des § 3 Nr. 6 und des § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG.
Die Übertragung der von dem Vater zugewendeten Miteigentumsanteile der Schwestern auf den Kläger stellt sich als abgekürzter Weg einer freigebigen Zuwendung des Vaters an den Kläger dar. Eine Übertragung der Miteigentumsanteile von jeweils 1/6 von den Töchtern auf ihren Vater wäre nach § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG – und gegebenenfalls auch nach § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG – steuerfrei gewesen. Die anschließende Übertragung dieser Miteigentumsanteile des Vaters auf den Sohn – Kläger – wäre nach § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit gewesen. Diese interpolierende Betrachtung knüpft an den real verwirklichten Sachverhalt der Übertragung der Miteigentumsanteile von den Schwestern auf den Kläger an. Die Anwendung der Steuerbefreiungen aufgrund interpolierender Betrachtung ist auch nicht durch § 42 AO ausgeschlossen. Im Zeitpunkt des notariellen Vertragsschlusses im Jahr 1988 konnte der Kläger/Sohn mangels Rechtsfähigkeit nicht im Rahmen einer Schenkung berücksichtigt werden. Ein beachtlicher Grund für die gewählte Gestaltung kann sich aus dem Interesse eines Elternteils ergeben, gegenüber einem begünstigten Kind selbst als Schenker aufzutreten.“
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Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
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