An dieser Stelle haben wir bereits seit Anbeginn des Dieselskandals immer wieder über Urteile berichtet, in denen Käufer von Dieselfahrzeugen mal mehr und mal weniger erfolgreich gegen Volkswagen oder deren Händler vor Gericht geklagt haben. Während in letzter Zeit immer mehr Gerichte Volkswagen wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB verurteilt haben, hat nun der BGH (Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19) als oberstes deutsches Zivilgericht in einem ersten Grundsatzurteil diese Auffassung bestätigt und Volkswagen zur Rückzahlung des Kaufpreises und Zahlung von Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verurteilt. Der Käufer muss sich allerdings die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil anrechnen lassen. Insoweit ist der Käufer unterlegen, der den vollen Kaufpreis ohne die Anrechnung einer Nutzungsentschädigung erstattet haben wollte.
VW-Kunde klagt sich bis vor den BGH
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war der Kauf eines gebrauchten VW Sharan 2.0 TDI für 31.490 €. Der Kläger hatte diesen im Jahr 2014, also rund ein Jahr vor Bekanntwerden des Dieselskandals, bei einem freien Händler gekauft.
Wie bereits in der Vorinstanz das OLG Koblenz sind nun auch die Richter am 6. Zivilsenat des BGH von einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch Volkswagen im Sinne von § 826 BGB ausgegangen. Der Einbau der illegalen Abschalteinrichtung sei eine grundlegende, strategische und unternehmerische Entscheidung des Konzerns gewesen, sagte der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung. Volkswagen habe im eigenen Kosten- und Gewinninteresse systematisch und langwierig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungs-Software zur bewussten Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts programmiert worden war. Ein solches Verhalten ist mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, so der BGH.
Die Richter gingen dabei davon aus, dass die unzulässige Praxis jedenfalls mit Kenntnis sowohl des vormaligen Leiters der Entwicklungsabteilung als auch der zuständigen damaligen Vorstände getroffen und umgesetzt wurde, so dass sich Volkswagen die unerlaubte Handlung auch zurechnen lassen müsse, § 31 BGB.
Schaden liegt im ungewollten Vertragsschluss
Für den juristischen Laien war es hier immer schwer zu erkennen, worin genau der Schaden liegen soll, denn all die Käufer hatten doch stets funktionsfähige Fahrzeuge aus dem Volkswagenkonzern erhalten. In ähnlicher Weise hatte dann ja auch stets Volkswagen versucht zu argumentieren, nämlich dass den Käufern gar kein Schaden entstanden sei, weil sie ein Dieselfahrzeug gekauft haben, dass sie nutzen konnten und ja auch genutzt haben. Hier haben die Richter BGH klargestellt, dass der Schaden schon im Kaufvertragsschlusses bestünde, mit dem der Käufer eine ungewollte Verpflichtung eingegangen sei. Dieser habe nämlich ein Fahrzeug erhalten, das für seine Zwecke gerade nicht voll brauchbar war. Auch durch ein später durchgeführtes Software Update sei der Schaden nicht etwa nachträglich beseitigt worden. Es spiele nach Auffassung der Richter auch keine Rolle, ob der Käufer einen Neuwagen oder ein Gebrauchtfahrzeug erworben habe.
Nutzungsvorteil ist zu berücksichtigen
Wer nun aber meint, dass all die Kläger nun das Glück hatten, über Jahre hinweg ein Fahrzeug kostenlos gefahren zu haben, weil sie dieses ja gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückgeben können, der irrt, denn die Richter haben, wie bereits zuvor etliche andere Gerichte auch, klargestellt, dass sich der Käufer die mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer als Nutzungsvorteil anrechnen lassen muss. Eine solche Anrechnung habe auch bei Ansprüchen aus vorsätzlicher, sittenwidrige Schädigung stattzufinden. Eine andere Auffassung würde nämlich, so die Richter, auf einen Strafschadenersatz hinauslaufen, der dem deutschen Zivilrecht aber fremd sei.
Welche Auswirkungen hat das Urteil für andere Käufer, die ebenfalls ein vom Dieselskandal betroffenes Fahrzeug gekauft haben
Zivilurteile wirken grundsätzlich nicht allgemeinverbindlich, sondern nur Inter partes, also zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien. Dies bedeutet, dass damit nicht automatisch klargestellt ist, dass bei anderen anhängigen Verfahren Gerichte nun auf Grundlage dieses BGH-Urteils in gleicher Weise entscheiden müssten. Der Verfasser selbst hatte es erst vor kurzem bei einem Gericht in München erlebt, dass ein Richter ein einschlägiges Urteil des BGH mit den Worten “In meinem Gerichtssaal zählt nur meine Meinung und nicht der BGH und ich halte dessen Ansichten für falsch“ sich über das Urteil hinweggesetzt hat, sodass sich nun die nächste Instanz damit befassen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies aber der Fall ist, ist sehr hoch, weil zum einen viele Gerichte ähnliche Auffassung vertreten und zum anderen sich niemand, auch nicht Richter, gerne unnötig mehr Arbeit machen, als nötig. Deshalb ist es meistens dann doch so, dass dann, wenn in einem vergleichbaren Fall bereits ein einschlägiges BGH-Urteil vorliegt, sich die nachfolgenden Instanzgerichte dieser Rechtsprechung anschließen.
VW hat deshalb bereits angekündigt auf Grundlage des Urteils nunmehr bei allen anhängigen Rechtsstreitigkeiten diese durch Abschluss von entsprechenden Vergleichen zu beenden. Konkret soll den Klägern, wenn sie das Auto behalten, eine Zahlung angeboten werden.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Wie heißt es so schön: „Wo kein Kläger da kein Richter“. Da Urteile, auch solche des Bundesgerichtshofs, nicht allgemeinverbindlich wirken, dürften all diejenigen Käufer, die auch ein vom Dieselskandal betroffenes Fahrzeug aus dem Volkswagenkonzern erworben, aber bisher den Weg zu Gericht gescheut haben, leer ausgehen, denn zum einen besteht keine Verpflichtung und keine Veranlassung für Volkswagen nun auf alle Käufer, die sich bislang nicht mit Klagen gemeldet haben zuzugehen und zum anderen dürften, da der Dieselskandal ab dem Jahr 2015 einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, es kaum mehr möglich sein, erfolgreich neu vor Gericht zu ziehen, da Ansprüche dann zum Ende des Jahres 2019 verjährt sein dürften. Hier offenbart sich auch die Schwäche des deutschen Rechtssystems, weil Geschädigte nicht etwa zunächst abwarten konnten, bis die Angelegenheit obergerichtlich geklärt ist, bevor sie selbst sich dafür entscheiden zu Gericht zu gehen. Aufgrund der langen Laufzeit von zivilrechtlichen Verfahren einerseits und der mit 3 Jahren relativ kurzen Verjährungsregelungen andererseits, haben all diejenigen, die zu lange gewartet haben, das Nachsehen. Nach Schätzungen sind dies etwa 75 % aller Käufer in Deutschland, die nun – trotz einer obergerichtlich festgestellten vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung von Volkswagen – leer ausgehen werden. Kleine Anekdote am Rande: in der Anfangszeit haben selbst Rechtschutzversicherungen Käufern von Betroffenen Fahrzeugen die Deckung mit der Begründung abgelehnt, für sie sei nicht ersichtlich, wo der Sachmangel liegen soll …
Anmerkung:
Käufer, die ihr Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des Dieselskandals, also nach September 2015, erworben haben, können aufgrund des Urteils nicht auf die Kulanz von Volkswagen hoffen. Hier hat VW bereits angekündigt, diesen Klägern kein Vergleichsangebot unterbreiten zu wollen, sondern die Verfahren auszustreiten. Wer nämlich ein solches Fahrzeug trotz Kenntnis, dass dieses mit einer Schummelsoftware ausgestattet war, erworben hat, der kann nicht hinterher behaupten, er sei vorsätzlich sittenwidrig geschädigt werden.