Wird eine nahestehende Person verletzt, also beispielsweise ein Kind oder ein Ehegatte, und erleidet dann ein Elternteil oder der andere Ehegatte hierdurch eine medizinisch fassbare Erkrankung (sog. Schockschaden), dann kann für diese psychische Beeinträchtigung nunmehr, ohne weitere Einschränkung, ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden. Dies hat der BGH in seinem Urteil vom 06.12.2022 (IV ZR 168/21) entschieden und damit die Geltendmachung solcher Ansprüche deutlich erleichtert. Bislang war nämlich weitere Voraussetzung gewesen, dass der Betroffene stärker beeinträchtigt wurde, als es beim Tod einer nahestehenden Person typischerweise zu erwarten gewesen wäre. Dies ist nach Auffassung des BGH nun nicht mehr erforderlich.
Vater erleidet wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter psychische Beeinträchtigung
Die Tochter des Klägers war im Alter von 5 Jahren durch einen Dritten sexuell missbraucht worden. Dieser war ermittelt und später auch deswegen verurteilt worden. Der Kläger war in dieser Zeit für mehr als ein Jahr arbeitsunfähig krank gewesen, weil er nach eigenen Angaben sich ausschließlich noch mit dem Schicksal seines Kindes beschäftigen konnte. Dies ließ ihn nicht mehr los. Ein Gutachter hatte ihm deshalb eine Anpassungsstörung (ICD-10 F4 3.2) diagnostiziert. Die Instanzgerichte hatten dem Vater deshalb ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 € zugesprochen.
BGH hebt Urteil auf und verweist zu erneuten Verhandlung zurück
Das Leid des Vaters hat aber vor dem BGH dann im Ergebnis, auch wenn die Geltendmachung von derartigen Ansprüchen dem Grunde nach erleichtert wurde, kein Ende gefunden, denn die Richter haben das Urteil auf Revision des Beklagten aufgehoben und zu erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Dies deshalb, weil die Instanzgerichte nicht geprüft hatten, ob nicht die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers darauf zurückzuführen ist, dass dieser bereits psychisch angeschlagen war, was bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes nicht hinreichend berücksichtigt worden ist. Da die Bemessung der Höhe des Schmerzensgelds dem Tatrichter vorbehalten ist, der BGH also nicht selbst entscheiden kann, musste zurückgewiesen werden.
Anmerkung:
Im Ergebnis bedeutet dies, dass die 4.000 €, die dem Vater zugesprochen worden waren, nach Sicht der obersten Bundesrichter zu hoch angesetzt sind, am Ende also der Kläger, je nachdem zu welchem Ergebnis nun Instanzgerichte kommen, weniger bis gar nichts bekommen wird.
Ein Ergebnis, das nahezu jeden, der selbst Vater oder Mutter ist, auf den 1. Blick, aber auch auf den 2. Blick, unbillig erscheint, den jeder, der sich in der Situation des Klägers befindet, würde wohl die zugesprochenen 4.000 € schon als Hohn empfinden. Gerade bei der Bemessung von Schmerzensgeld liegt in Deutschland einiges im Argen und verdeutlicht, dass Gesundheit und Leben des einzelnen, gerade im Hinblick darauf, wer was sonst alles Geld ausgegeben wird, nur von untergeordneter Bedeutung ist.