Kinder, die ein Elternteil, meistens den Vater, nicht kennen, sind oft ein Leben lang auf der Suche nach ihm. Was aber ist, wenn der Vater zwar gefunden, zu diesem Zeitpunkt aber schon verstorben und beerdigt ist und zudem nicht unvermögend war, sodass eine Feststellung der Vaterschaft zugleich mit einem finanziellen Interesse einhergeht.
Der BGH hat mit Beschluss vom 29.10.2014 (XII ZB 20/14) ein solches Begehren – gegen den Willen des ehelichen Sohns und Erben – rechtlich gebilligt, denn das postmortale Persönlichkeitsrecht tritt im Falle einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen Untersuchung und damit einhergehenden Exhumierung des Erblassers regelmäßig hinter dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück. Das Interesse des Kindes an der Feststellung der Vaterschaft sei auch deswegen nicht geringer zu bewerten, weil damit die Geltendmachung eines Erbrechts verfolgt wird, so die Richter.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Ein Beweis über die Abstammung ist lediglich dann nicht einzuholen, wenn die Angabe, dass die betreffende Person der leibliche Vater sei bzw. mit der Mutter in der Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt habe, eine ohne Anhaltspunkte ausgesprochene Vermutung ist bzw. dieser ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt, so dass die Beweiserhebung auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall. Es genügt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die vorgetragene Beiwohnung in der Empfängniszeit spricht.
Die Voraussetzungen für die Untersuchung eines Verstorbenen und seine damit einhergehende Exhumierung zur Feststellung seiner Vaterschaft sind gesetzlich allerdings nicht ausdrücklich geregelt. Insoweit ist § 178 Abs. 1 FamFG jedoch entsprechend anzuwenden. Da nach dieser Vorschrift jede (lebende) Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben zu dem genannten Zweck zu dulden hat, kann kein Zweifel daran bestehen, dass erstrecht die Entnahme als solche von Gewebeproben aus den sterblichen Überresten einer Person zu diesem Zweck grundsätzlich hingenommen werden muss. Demgemäß hat der totenfürsorgeberechtigte Angehörige die Exhumierung und Probenentnahme zu dulden, wenn die Abstammungsuntersuchung erforderlich und zumutbar ist. An der Erforderlichkeit fehlt es im Vaterschaftsfeststellungsverfahren, wenn die Sache unabhängig von der Abstammungsuntersuchung entscheidungsreif ist oder wenn andere Beweismittel zur Verfügung stehen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts stehen weder Gewebeproben des Verstorbenen zur Verfügung, noch ist der Beteiligte als Sohn bereit, eigenes DNA-Material für eine Untersuchung bereitzustellen. Im Hinblick auf den Maßstab der Zumutbarkeitsprüfung nach § 178 Abs. 1 FamFG schließt sich der Senat der überwiegenden Auffassung dahingehend an, dass grundsätzlich dem Recht des Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung der Vorrang vor der Achtung der Totenruhe einzuräumen ist. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung folgt unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil die Kenntnis und Zuordnung des Vaters von wesentlicher Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit ist.
Der Rechtsposition des Totenfürsorgeberechtigten, der – wie hier der Beteiligte – die Rechte des Verstorbenen gleichsam als Treuhänder wahrnimmt, kommt im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 178 Abs. 1 FamFG regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu. Unter der Beachtung der besonderen Bedeutung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung führt eine im legitimen Interesse des Kindes entsprechend § 178 FamFG durchgeführte Untersuchung des Verstorbenen und dessen damit einhergehende Exhumierung nicht zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG und damit auch nicht zu einer hierdurch indizierten Verletzung der auch postmortal geschützten Menschenwürde. Deshalb gebührt dem Recht des Kindes grundsätzlich der Vorrang. Dieses Ergebnis steht die Rechtsprechung des EGMR nicht entgegen: Dieser hat entschieden, dass die widerstreitenden Interessen des Kindes und des Verstorbenen im Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen seien. Dabei hat er jedoch betont, dass das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung für ein Kind von besonderer Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass der EGMR in einer anderen Entscheidung ausgeführt hat, dass eine Exhumierung des Verstorbenen zum Zwecke der Probenentnahme keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellt.
Gemessen an diesen Anforderungen ist die Entscheidung des OLG von Rechts wegen nicht zu beanstanden: Dieses ist frei von Rechtsfehlern zu dem Ergebnis gelangt, dass das Interesse der Antragstellerin auf Kenntnis ihrer Abstammung Vorrang vor der Achtung der Totenruhe des Erblassers hat. Die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen lassen einen Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen durch die Beweisanordnung nicht erkennen. Da sich der Schutz Verstorbener auf Art. 1 Abs. 1 GG beschränkt, kann sich der Beteiligte für den Verstorbenen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht auf eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Das Interesse der Antragstellerin an der Feststellung der Vaterschaft wird nicht dadurch geschmälert, dass sie bereits seit langer Zeit über die mögliche Vaterschaft informiert gewesen sei bzw. sie keine Zweifel mehr an seiner Vaterschaft habe. Der Gesetzgeber hat von einer Frist für die Vaterschaftsfeststellung abgesehen. Im Lichte der Bedeutung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung scheidet zudem eine Verwirkung des Anspruchs aus.
Auch ist nichts gegen die Erwägungen des Oberlandesgerichts zu erinnern, wonach es die Exhumierung nicht unzumutbar macht, dass es der Antragstellerin vorwiegend um eine Erbschaft und damit um vermögensrechtliche Interessen geht. Das Interesse der Antragstellerin an der Feststellung der Vaterschaft ist jedoch nicht deswegen geringer zu bewerten, weil sie damit vor al-lem die Geltendmachung eines Erbrechts verfolgt. Zu Recht hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass auch die Teilhabe an dem väterlichen Erbe ein legitimes Interesse darstellt.“
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Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
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