Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Dies ist auch in Rechtsanwaltskanzleien nicht ausgeschlossen. Wird in zivilrechtlichen Verfahren eine Frist versäumt, dann muss sich die Partei diese Versäumnis regelmäßig nach § 85 Abs. 2 ZPO als Anwaltsverschulden zurechnen lassen. Eine Möglichkeit die Fristversäumnis zu heilen, ist die sog. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine solche wird (in der Theorie) dann gewährt, wenn lediglich ein Verschulden des Büropersonals, nicht aber des Rechtsanwalts, vorliegt. Dass die Hürden dabei sehr hoch sind macht eine neuerliche Entscheidung des BGH (Beschluss vom 09.07.2014 XII -ZB 709/13 ) nur allzu deutlich.
Im vom BGH entschiedenen Fall war bei einer Kanzlei, die ausschließlich mit einer elektronisch geführten Handakte arbeitet, in einer familienrechtlichen Angelegenheit eine Beschwerdebegründungsfrist nicht notiert worden. Die Antragstellerin hatte dabei ihren Wiedereinsetzungsantrag damit begründet, dass in der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten Handakten ausschließlich als elektronische Akten geführt und sämtliche Fristen von einer hierfür besonders geschulten und eingewiesenen Kanzleiangestellten, deren Arbeit nie Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, sowohl in der EDV als auch in einem Fristenkalender in Papierform notiert würden. Sobald feststehe, dass ein Rechtsmittel einzulegen sei, werde in der EDV eine neue Akte angelegt, wobei die Fristen nach Eingang des anzufechtenden Urteils oder Beschlusses bereits zur Ursprungsakte eingetragen würden. Bei Anlage der neuen Rechtsmittelakte prüfe die Mitarbeiterin nochmals, ob alle Fristen notiert seien, und übertrage diese auf die neue Akte.
Im Ergebnis erfolge mithin eine dreifache Fristnotierung in den elektronischen Akten und im Fristenkalender. Die Fristversäumung im vorliegenden Fall beruhe darauf, dass versehentlich zwar die Beschwerde-, nicht aber die Beschwerdebegründungsfrist notiert und zusätzlich bei Anlage der Rechtsmittelakte Überprüfung und Übertragung vergessen worden seien.
Dies genügte dem BGH nicht, um ein Anwaltsverschulden zu verneinen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht kann sich die Antragstellerin nicht durch die Ausführungen zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten entlasten.
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (Senatsbeschluss vom 27. November 2013 – XII ZB 116/13 – FamRZ 2014, 284 Rn. 7 mwN). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (BGH Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 – III ZB 47/12 – juris Rn. 7; vom 22. September 2011 – III ZB 25/11 – juris Rn. 8 und vom 8. Februar 2010 – II ZB 10/09 – MDR 2010, 533 Rn. 7 mwN).
bb) Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Handakte des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakte oder aber als elektronische Akte geführt wird. Wie die Vorschrift des § 50 Abs. 5 BRAO zeigt, kann sich ein Rechtsanwalt zum Führen der Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedienen. Entscheidet er sich hierfür, muss die elektronische Handakte jedoch ihrem Inhalt nach der herkömmlichen entsprechen und insbesondere zu Rechtsmittelfristen und deren Notierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können. Wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender darf auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant (vgl. BGH Beschluss vom 17. April 2012 – VI ZB 55/11 – FamRZ 2012, 1133 Rn. 8; Jungk AnwBl 2014, 84).
Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung – hier der Einlegung der Beschwerde – mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Dass die Handakte ausschließlich elektronisch geführt wird, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass den Rechtsanwalt im Ergebnis geringere Überprüfungspflichten als bei herkömmlicher Aktenführung treffen.
cc) Nach den Ausführungen der Antragstellerin zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten war wegen eines doppelten Versehens des Kanzleipersonals die Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist sowohl im Fristenkalender als auch in der elektronischen Handakte unterblieben. Dies hätten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bei der gebotenen Kontrolle der elektronischen Handakte anlässlich der Beschwerdeeinlegung ebenso bemerken müssen wie bei herkömmlicher Aktenführung.“
Anmerkung:
Ist eine Frist doppelt gestuft, wie hier bei der Einlegung einer Beschwerde bei der eine gesonderte Frist für die Beschwerdeeinlegung und für die Beschwerdebegründung laufen (ebenso bei Berufung und Berufungsbegründung), dann ist es im Ergebnis nahezu ausgeschlossen, dass im Rahmen einer Kanzleiorganisation ein Fehler von Büropersonals auftritt, der nicht letztendlich doch als Anwaltssverschulden gewertet wird, so dass Wiedereinsetzungsanträge regelmäßig ohne Aussicht auf Erfolg sind. Hätte nämlich der Anwalt, so wie vom BGH gefordert, im konkreten Fall die Eintragung der Fristen nicht nur nachgerechnet, sondern auch die Eintragung überprüft, dann wäre der Fehler des Büropersonals aufgefallen und die Frage der Wiedereinsetzung würde sich überhaupt nicht stellen. Deshalb sollten Rechtsanwälte stets überprüfen, ob die Fristen für Beschwerdebegründung oder Berufungsbegründung nicht nur richtig berechnet und notiert, sondern auch tatsächlich im Kanzleikalender entsprechend der Berechnung eingetragen worden sind.
Eine solche Fristversäumnis führt aber per se nicht automatisch zu einer Haftung des Anwalts. Dies deshalb, weil eine Haftung nur dann in Betracht kommt, wenn die Fristversäumnis auch ursächlich für den eingetretenen Schaden ist. Wird also nunmehr der Anwalt im Rahmen eines Haftungsprozesses in Anspruch genommen, dann muss das damit befasste Gericht nunmehr inzident Prüfung, ob das Rechtsmittel, wäre es fristgerecht begründet worden, auch tatsächlich erfolgreich gewesen wäre. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nachdem aber bereits die Entscheidung erster Instanz zu Ungunsten des Antragstellers ausgegangen ist, wird in einer Vielzahl von Fällen eine Anwaltshaftung im Ergebnis an den Erfogsaussichten des Rechtsmittels scheitern.