In der zivilrechtlichen Prozesspraxis kommt es immer wieder vor, dass eine Partei in der mündlichen Verhandlung neu vorträgt oder neue Anträge stellt. Der Gegner rügt in diesem Fall meist (oft zu Unrecht) die Verspätung. Er möchte damit erreichen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung das neue Vorbringen nicht mehr beachtet. Problematisch ist, dass oftmals auch Gerichte bei der Anwendung der Präklusionsvorschriften Fehler machen und den Vortrag nicht berücksichtigen, obwohl gar keine Verspätung vorliegt. Fatal, wenn hierdurch der Rechtsstreit verloren geht.
Der Bundesgerichtshof musste erneut in seinem Beschluss vom 17. Juli 2012 (VIII ZR 273/11) die unrichtige Entscheidung eines Oberlandesgerichts korrigieren, das einen in der ersten mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung des Sachverständigen rechtsirrig unter Anwendung des § 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen hat. Die Entscheidung der Richter war deshalb fehlerhaft, weil diese Vorschrift nur dann einschlägig ist, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden, so dass ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein kann.
Die BGH-Richter haben die Richter der Vorinstanz folgendermaßen belehrt:
„§ 282 Abs. 1 ZPO betrifft allein Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 – XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007 unter 2 b aa; MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 282 Rn. 8; jeweils mwN). § 282 Abs. 1 ZPO ist hiernach im Streitfall offenkundig nicht anwendbar. Zwar war dem Verhandlungstermin vom 22. Januar 2010 bereits ein Termin vor dem Landgericht vorausgegangen, der am 24. Juli 2009 stattfand. In diesem Termin ist jedoch wegen des noch ausstehenden Ergänzungsgutachtens im selbständigen Beweisverfahren auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Die erste mündliche Verhandlung erster Instanz, in der die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Ergänzungsgutachtens beantragt werden konnte, war somit die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2010. Der dort gestellte Antrag kann daher nicht nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein.
Der Umstand, dass der Klägerin im selbständigen Beweisverfahren eine Frist zur Stellungnahme zu dem Ergänzungsgutachten gesetzt worden war, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Fristwidrig verspätetes Vorbringen ist nicht Regelungsgegenstand des vom Berufungsgericht angewendeten Absatzes 1 des § 282 ZPO. Davon abgesehen sind auch die Präklusionsvoraussetzungen der zweiten Alternative des § 296 Abs. 2 ZPO (in Verbindung mit § 282 Abs. 2 ZPO) offenkundig nicht erfüllt. Die in § 282 Abs. 2 normierte Prozessförderungspflicht betrifft nur solche Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorherige Erkundigung keine Erklärung abgeben kann; das ist bei dem Antrag, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, nicht der Fall.“
Ob der Antrag nach § 296 Abs. 1 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen, ist in den Rechtsmittelinstanzen nicht zu prüfen (BGH, Urteile vom 4. Mai 2005 – XII ZR 23/03, aaO unter 2 b bb; vom 22. Februar 2006 – IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 12 ff.; jeweils mwN), so dass der BGH hierzu keine Ausführungen mehr gemacht hat.
Tipp:
Sollten Sie einen Rechtsstreit verloren haben, weil das Gericht Sachvortrag als verspätet nicht gewertet hat, dann sollten Sie dies nicht als gegeben hinnehmen. Je nach Art des Urteils kann vielleicht mit Berufung, Nichtzulassungsbeschwerde oder aber einer Gehörsrüge das Urteil korrigiert und der Fall dann doch noch in Ihrem Sinn entschieden werden. Da Fristen einzuhalten sind, müssen Sie rasch handeln; andernfalls wird das Fehlurteil rechtskräftig.