Wer in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten eine Abmahnung erhält, weil er Rechtsvorschriften verletzt hat und gleichzeitig aufgefordert wird Rechtsanwaltskosten zu übernehmen, verteidigt sich oft vorschnell damit, dass die Abmahnung rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Dies jedenfalls dann, wenn die mit der Rechtsverteidigung beauftragten Rechtsanwälte keine oder nur geringe Kenntnis im Wettbewerbsrecht haben und die dazu ergangene, einschlägige Rechtsprechung nicht kennen. Dies kann teuer werden.
Der BGH hat nämlich in seinem Urteil vom 19.07.2012 (I ZR 199/10) erneut klargestellt, dass die Anforderungen an den Rechtsmissbrauch hoch sind und selbst Mehrfachabmahnungen, die sich überschneidende Rechtsverstöße nacheinander rügen, nicht rechtsmissbräuchlich sind, wenn der Schuldner auf die Möglichkeit der Streitbeilegung durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung hingewiesen wurde.
Aus den Urteilsgründen:
„1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Abmahnkosten für die erste Abmahnung (Antrag 2) abgewiesen. Diese Abmahnung war berechtigt, so dass die Klägerin Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen kann (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG).
a) Zwar bezieht sich die Bestimmung des § 8 Abs. 4 UWG auch auf die vorgerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im Wege der Abmahnung (BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 – I ZR 241/99, BGHZ 149, 371, 373 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung). Das vom Berufungsgericht als missbräuchlich angesehene Verhalten der Klägerin bei der zweiten Abmahnung vom 24. Juli 2008 sowie bei der Klageerhebung konnte aber von vornherein keinen Einfluss auf die erste Abmahnung haben, die zu diesem Zeitpunkt bereits in der Vergangenheit lag (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 – I ZR 45/11, GRUR 2012, 949 Rn. 24 = WRP 2012, 1086 – Missbräuchliche Vertragsstrafe). Es ist auch weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass die erste Abmahnung allein der Gebührenerzielung für die Anwälte der Klägerin diente. Vielmehr war sie erforderlich, um der Beklagten einen Weg zu weisen, die Klägerin ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen.
b) Die Abmahnung war auch begründet, weil ihr entsprechende Unterlassungsansprüche der Klägerin zugrunde lagen.
aa) Hinsichtlich des mit dieser Abmahnung geltend gemachten Verstoßes gegen das Irreführungsverbot hat die Beklagte mit Abschlusserklärung vom 5. August 2008 die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 14. Juli 2008 „als endgültige und zwischen den Parteien materiell rechtlich wirksame Regelung gleich einem Hauptsacheurteil anerkannt“. Sie hat diesen Verstoß im vorliegenden Verfahren auch zu keinem Zeitpunkt bestritten. Damit ist insoweit von einer berechtigten Abmahnung auszugehen, so dass ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin besteht.
bb) Hinsichtlich des Verstoßes gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 PAngV kann der Senat auf der Grundlage des im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wiedergegebenen Newsletters der Beklagten vom 23. Juni 2008 in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Aufklärung mehr bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, fehlt in dem Newsletter unter 2. die schon bei den angebotenen Männerdessous erforderliche Angabe der Versandkosten.
c) Zinsen auf die Abmahnkosten kann die Klägerin, wie schon das Landgericht zutreffend erkannt hat, gemäß § 247 BGB lediglich in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen. Da die Abmahnung kein Rechtsgeschäft ist, kommt der höhere Zinssatz des § 288 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. In Höhe der zu viel geforderten Zinsen ist die Klage abzuweisen.
2. Der Klägerin steht auch der Unterlassungsanspruch gemäß dem Klageantrag zu 1 a (Newsletter vom 23. Juni 2008) zu.
a) Die Beklagte hatte auf die erste Abmahnung nicht reagiert. Auch nachdem die Klägerin insoweit am 14. Juli 2008 eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte, gab sie eine Abschlusserklärung nur im Hinblick auf die beanstandete Irreführung ab, nicht jedoch wegen der fehlenden Angabe der Versandkosten. Die Klägerin war unter diesen Umständen nicht gehindert, eine allein auf die fehlende Versandkostenabgabe gestützte Unterlassungsklage zu erheben.
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage nicht im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich erhoben worden, weil die Klägerin zwei nahezu identische Unterlassungsanträge gestellt und für sie jeweils einen Wert von 20.000 € angegeben hat.
aa) Ein solches Verhalten kann allerdings den Grundsätzen der Prozessökonomie widersprechen, weil das Verbot eines Unterlassungstitels über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen umfasst, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 I ZR 177/07, GRUR 2010, 855 Rn. 17 = WRP 2010, 1035 – Folienrollos, mwN). Die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen, und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen, kann daher ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein, weil dem Kläger im Einzelfall ein schonenderes Vorgehen durch Zusammenfassung seines Begehrens in einem Antrag möglich und zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2001 – I ZR 15/98, GRUR 2002, 713, 714 = WRP 2002, 980 – Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 8 Rn. 4.16).
bb) Im Streitfall kann der Klägerin indes ein solcher Missbrauchsvorwurf nicht gemacht werden. Die Stellung beider Unterlassungsanträge stellte für sie unter den gegebenen Umständen den prozessual sichersten Weg dar, um ihr Rechtsschutzbegehren umfassend durchzusetzen. Bei der Werbung ohne Versandkostenangabe in den beiden Newslettern handelte es sich – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht um kerngleiche Verletzungsformen.
Im Grundsatz zutreffend hat das Berufungsgericht zwar das Charakteristische der Verstöße nicht im Zeitpunkt der Versendung des Newsletters, in den angebotenen Waren oder ihren Preisen erkannt, sondern in dem unterlassenen Hinweis auf die Versandkosten. Es hat aber übersehen, dass die beiden Werbenewsletter gerade insoweit in einem entscheidenden Punkt unterschiedlich gestaltet waren. Im ersten Newsletter vom 23. Juni 2008 fanden sich als letzte Aussagen, wenn auch in erheblicher räumlicher Entfernung und ohne Bezug zu der „Aktion Männerdessous“ für 1,97 €, die Sätze:
„Pro Bestellung immer drei gratis Produkte (jeder Artikel jeweils 1x). Ansonsten fallen nur einmal Versandkosten laut unseren AGB an.“
Demgegenüber fehlte im zweiten Newsletter vom 21. Juli 2008 jeder Hinweis auf Versandkosten. Gerade in dem für die beanstandete Werbung charakteristischen Element bestand daher zwischen den beiden Werbeschreiben ein objektiver Unterschied, auf den sich die Beklagte dann auch in der Klageerwiderung zu ihrer Verteidigung berufen hat.
Die Klägerin musste sich unter diesen Umständen nicht darauf verlassen, mit einem auf den ersten Newsletter als Verletzungsform bezogenen Unterlassungsantrag einen Unterlassungstitel zu erwirken, der als kerngleiche Verletzungshandlung auch die fehlende Versandkostenangabe im zweiten Newsletter umfasste. Prozessualer Vorsicht entsprach es vielmehr, beide Unterlassungsanträge zu stellen. Darin ist kein Missbrauch zu erkennen.
Auch die Streitwertangabe der Klägerin stellt kein Indiz für eine missbräuchliche Klageerhebung dar, weil sie Folge der unbedenklichen Stellung der beiden Unterlassungsanträge war.
b) Der zulässige Unterlassungsantrag zu 1 a ist auch begründet (vgl. oben).
3. Nachdem die Klägerin auf den Unterlassungsanspruch gemäß Klageantrag zu 1 b verzichtet hat, ist darüber nicht zu entscheiden.
4. Der Klägerin steht ferner für die zweite Abmahnung vom 24. Juli 2008 ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu.
a) Eine berechtigte Abmahnung, die zum Kostenersatz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG verpflichtet, liegt nur vor, wenn der mit ihr geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht und sie erforderlich ist, um dem Schuldner einen Weg zu weisen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (BGH, Urteil vom 21. Januar 2010 – I ZR 47/09, GRUR 2010, 354 Rn. 8 = WRP 2010, 525 – Kräutertee). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Abmahnung vom 24. Juli 2008 erfüllt.
aa) Die zweite Abmahnung bezog sich auf den Newsletter vom 21. Juli 2008. Dieser Newsletter, in dem unter Preisangabe Letztverbrauchern verschiedene Waren angeboten wurden, enthielt keinerlei Angaben zu den Versandkosten. Die Beklagte hat dadurch gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 PAngV verstoßen.
bb) Die zweite Abmahnung war auch erforderlich. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte auf die erste Abmahnung vom 2. Juli 2008 bis dahin nicht reagiert hatte.
Hat der Gläubiger den Schuldner bereits auf die Möglichkeit der Streitbeilegung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hingewiesen, kann eine zweite Abmahnung wegen desselben Wettbewerbsverstoßes diese Aufgabe allerdings nicht mehr erfüllen. Nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG muss dasselbe gelten, wenn die Abmahnung nicht wegen desselben, sondern wegen eines kerngleichen Wettbewerbsverstoßes ausgesprochen wurde.
Die im zweiten Newsletter gänzlich fehlende Versandkostenangabe stellte sich aber gegenüber dem vom beanstandeten Warenangebot räumlich getrennten Hinweis auf „Versandkosten laut unseren AGB“ am Ende des ersten Newsletters deutlicher als Wettbewerbsverstoß dar. Es war deshalb nach der dafür maßgeblichen objektiven Sicht durchaus möglich, dass die Beklagte wegen des zweiten Verstoßes eine Unterwerfungserklärung abgeben würde, auch wenn sie dies hinsichtlich des ersten Verstoßes wegen des Hinweises auf Versandkosten am Ende des ersten Newsletters abgelehnt hatte. Hätte die Klägerin unter diesen Umständen nicht abgemahnt und hätte die Beklagte nach Klageerhebung den entsprechenden Unterlassungsanspruch sofort anerkannt, wären der Klägerin gemäß § 93 ZPO die Kosten auferlegt worden.
Danach steht der Erforderlichkeit der Abmahnung ebenfalls nicht entgegen, dass die Klägerin auch wegen der fehlenden Versandkostenangabe im ersten Newsletter bereits am 14. Juli 2008 eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte, die ihren Verfahrensbevollmächtigten am 18. Juli 2008 und damit vor Versendung des Abmahnschreibens vom 24. Juli 2008 zugegangen war (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2009 – I ZR 216/07, GRUR 2010, 257 Rn. 8 = WRP 2010, 258 – Schubladenverfügung).“
Hinweis:
Wurde der in der Abmahnung gerügte Rechtsverstoß tatsächlich begangen, dann ist es regelmäßig kostengünstiger der Abmahnung Folge zu leisten und die geforderte Unterlassungserklärung abzugeben, als nur aus dem Bauchgefühl heraus einen Rechtsstreit zu führen. Die dann anfallenden Kosten können sich nämlich schnell potenzieren, zumal dann nicht nur die Anwaltskosten des Abmahnenden, sondern auch die Kosten für den eigenen Rechtsanwalt bezahlt werden müssen.