Unverschlüsselte E-Mails sind bekanntermaßen einsehbar wie Postkarten und können leicht von Dritten, die etwas technischen Aufwand betreiben, mitgelesen werden. Dies ist zwischenzeitlich hinlänglich bekannt.
Was aber ist, wenn private E-Mails dadurch Dritten bekannt werden, dass ein Notebook, auf dem sie gespeichert sind, abhanden kommt, und dann deren prekärer Inhalt der Presse zugespielt wird, die sie auch prompt veröffentlicht? Mit dieser Frage hat sich nun abschließend der BGH in seinem Urteil vom 30.09.2014 (VI ZR 490/12) befasst und (entgegen den Vorinstanzen) zu Gunsten der Pressefreiheit entschieden.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger, der Brandenburgische EX-Minister Rainer Speer, unterhielt Mitte der 90er Jahre zu einer Mitarbeiterin eine außereheliche Beziehung, aus der im Jahre 1997 die gemeinsame Tochter E. hervorging. Auf Antrag der Kindesmutter erhielt E. bis Oktober 2003 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Im Jahre 2009 kam der private Laptop des Klägers abhanden. Die darauf befindliche E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und der Kindesmutter wurde der Beklagten zu 1 zugespielt.
Am 31.08.2010 führten drei Redakteure der Beklagten zu 1 ein Interview mit dem Kläger. Sie hielten ihm vor, dass sich aus an ihn gerichteten E-Mails der Kindesmutter ergebe, dass er der Vater von E. sei und für sie keinen regelmäßigen Unterhalt gezahlt habe. Es bestehe der Verdacht des Sozialbetrugs.
Der Kläger erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten zu 1 untersagt wurde, vier E-Mails wörtlich oder sinngemäß publizistisch zu nutzen. Am 20.09.2010 veröffentlichte die frühere Beklagte zu 2 unter voller Namensnennung des Klägers auf ihrem Internetauftritt einen Beitrag, der sich mit der Beziehung des Klägers mit der Kindesmutter, der Geburt der Tochter sowie der möglichen Erschleichung von Sozialleistungen befasst.
In der Zeit zwischen dem 21. und dem 25.09.2010 erschienen in den Printmedien der Beklagten zu 1 und 3 sowie in dem Internetportal der früheren Beklagten zu 2 ähnliche Berichte über den Vorgang. Am 23.09.2010 trat der Kläger von seinem Ministeramt zurück. Er gab in einem Zeitungsinterview bekannt, dass er der Vater von E. sei und die Unterhaltszahlungen für sie nachgeholt habe.
Der Kläger hält die Verwertung der privaten E-Mails zum Zwecke der Berichterstattung für rechtswidrig. Das Landgericht hat angenommen, dass der Kläger bis zu seinem Rücktritt einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1 gehabt habe, es zu unterlassen, die Fragen, ob er der Vater von E. ist, private oder intime Kontakte zur Kindesmutter hatte, Unterhaltsleistungen für E. erbracht hat und ob die Kindesmutter zu Unrecht Unterhaltsvorschuss für E. in Anspruch genommen hat, öffentlich zu erörtern.
Das Landgericht hat die Beklagten darüber hinaus verurteilt, es zu unterlassen, den Inhalt einzelner E-Mails in direkter oder indirekter Rede zu verbreiten. Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg.
Auf die Revisionen der Beklagten hat der BGH die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klagen abgewiesen.
Zwar greift eine Berichterstattung, die sich auf den Inhalt der zwischen dem Kläger und seiner Geliebten gewechselten E-Mails stützt, in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Beide genannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützen das Interesse des Kommunikationsteilnehmers daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt.
Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit überwiegen das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die veröffentlichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden sind. Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Beklagten die E-Mails nicht durch vorsätzlichen Rechtsbruch verschafft, um sie zu publizieren.
Sie haben sich an dem Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers auch nicht beteiligt, sondern aus dem Bruch der Vertraulichkeit lediglich Nutzen gezogen. Die Informationen, deren Wahrheit der Kläger nicht in Frage stellt, haben einen hohen „Öffentlichkeitswert“. Sie offenbaren einen Missstand von erheblichem Gewicht, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.
Als Minister und als Landtagsabgeordneter gehörte der Kläger zu den Personen des politischen Lebens, an deren Verhalten unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Informationsinteresse besteht. Die der Beklagten zu 1 zugespielten E-Mails belegen, dass sich der Kläger über viele Jahre der wirtschaftlichen Verantwortung für seine Tochter E. entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt hat.
Er hat es im eigenen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Interesse hingenommen, dass seine ehemalige Geliebte für die gemeinsame Tochter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezog, obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nicht gegeben waren. Denn die Kindesmutter hatte der zuständigen Behörde den Kläger pflichtwidrig nicht als Vater von E. benannt.
Der BGH hat auch die Veröffentlichung verschiedener E-Mails in direkter oder indirekter Rede als zulässig angesehen. Die im Wortlaut veröffentlichten E-Mails dokumentieren mit besonderer Klarheit, wie der Kläger mit der Verantwortung gegenüber seiner nichtehelichen Tochter und der Mutter seines Kindes – und damit mittelbar gegenüber der Allgemeinheit, die jedenfalls bis zur Veröffentlichung der streitgegenständlichen Informationen die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen tragen musste – umgegangen ist.
Anmerkung:
E-Mail und SMS werden heute gerne, auch im privatesten Bereich, unbedenklich benutzt, weil die Kommunikation schnell und praktisch funktioniert. Der Fall zeigt aber einmal mehr, dass manche Dinge besser persönlich besprochen werden, wenn wie hier aufgrund der eigenen Stellung eine Äußerung politische Brisanz haben kann.
Der Fall wirft auch die Frage auf, wie der BGH geurteilt hätte, wenn die E-Mails nicht durch Diebstahl des Notebooks in falsche Hände gelangt wären, sondern beispielsweise künftig findige Geschäftemacher den E-Mail Verkehr von Personen des öffentlichen Lebens systematisch kontrollieren, um brisantes Material dann gewinnbringend an die Presse veräußern zu können. Die Presse könnte sich stets auf den Standpunkt stellen, sie habe mit dem Rechtsbruch nichts zu tun, sondern ihr seien Informationen lediglich zugespielt worden, die sie verwertet. Um nicht Gefahr zu laufen, die Freiheit des Internets zu beeinträchtigen, ist der Gesetzgeber gefordert geeignete Regelungen zu schaffen, die ähnlich, wie jetzt bereits die Vertraulichkeit des gesprochenen Worts geschützt ist, auch die Vertraulichkeit des geschriebenen Wortes zu schützen. Auch, wenn Telefongespräche problemlos abgehört werden können, vertraut der Nutzer doch darauf, dass das was er sagt vertraulich ist. Gleiches gilt aber für den E-Mail Verkehr. Auch, wenn die Möglichkeiten Kommunikation auszuspielen technisch vielfältig sind, so vertraut derjenige, der eine E-Mail versendet, in der Regel doch darauf, dass diese ausschließlich vom Empfänger gelesen wird.