Die Menschen werden immer älter und Demenz zur Volkskrankheit Nr. 1. Fragen der Geschäftsfähigkeit bzw. Geschäftsunfähigkeit werden deshalb die Gerichte künftig immer stärker beschäftigen.
In einem nun vom BGH letztinstanzlich entschieden Rechtsstreit (Beschluss vom 12.11.2015, V ZR 66/15) ging es um die Frage, ob die Klägerin und spätere Erblasserin zum Zeitpunkt einer Grundstücksübertragung bereits geschäftsunfähig gewesen ist. Diese hatte mit notariellem Vertrag vom 15.03.2011 dem Beklagten, ihrem Nachbarn, ein Grundstück verkauft und am 17.03.2011 eine Vorsorgevollmacht erteilt. Nach einem Krankenhausaufenthalt im Juli 2011 wurde für die Erblasserin mit Beschluss des Betreuungsgerichts vom 31.08.2011 eine umfassende rechtliche Betreuung eingerichtet. Ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 28.08.2011 hatte der Erblasserin dann eine Betreuungsbedürftigkeit u.a. wegen fortgeschrittener Demenz bescheinigt und zugleich die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht wegen einer seit mindestens Anfang 2011 bestehenden Geschäftsunfähigkeit festgestellt.
Der Betreuer hatte dann vor dem Landgericht erfolgreich auf Grundbuchberichtigung geklagt. Während des Berufungsverfahrens ist die Klägerin verstorben und ein vom Gericht bestellter Nachlasspfleger hat den Rechtsstreit für die unbekannten Erben fortgeführt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten unter Verweis auf das Sachverständigengutachten zurückgewiesen. Einer Vernehmung des vom Beklagten zum Beweis der Geschäftsfähigkeit angebotenen Zeugen, nämlich des Notars sowie der Krankenhausärzte, ist das Gericht nicht nachgekommen. Es hat den diesbezüglichen Vortrag des Beklagten für unbeachtlich gehalten, weil er sich nicht zu konkreten Wahrnehmungen von Wortäußerungen oder Verhaltensweisen der Klägerin vorgetragen hatte.
Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich.
Nach Auffassung der BGH Richter war das Urteil aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. So verhält es sich, wenn ein Beweisantritt wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für die zu beweisende Tatsache zurückgewiesen wird, obwohl er Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann.
So ist es hier. Bei der Beurteilung, ob sich jemand in einem bestimmten Zeitpunkt in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, kann auch die Einschätzung von Personen von Bedeutung sein, die keine medizinische Ausbildung haben oder die den Betroffenen nicht gezielt auf seinen Geisteszustand untersucht haben.
Vorliegend beruht die Feststellung des Sachverständigen zu der Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin auf deren Zustand bei der Begutachtung im August 2011 und fremdanamnestischen Angaben. Daraus hat der Sachverständige Rückschlüsse auf die Betreuungsbedürftigkeit und die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht gezogen. Dem gegenüber beruft sich der Beklagte auf die Einschätzung der von ihm benannten Zeugen, nach der die Erblasserin bis zu ihrer Einlieferung in das Krankenhaus geschäftsfähig gewesen sei. Der beurkundende Notar war gemäß § § 11, 17 BeurkG verpflichtet, die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin festzustellen und sich darüber zu vergewissern, dass der Vertrag auch ihrem Willen entspricht. Die die Erblasserin behandelnden Krankenhausärzte haben den Zustand und das Verhalten der Erblasserin nach deren Einlieferung beobachtet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich für das Berufungsgericht bei der gebotenen Gesamtwürdigung nach Vernehmung der Zeugen ein anderes oder differenzierteres Bild hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit der Erblasserin ergibt, das Zweifel an deren Geschäftsunfähigkeit im März 2011 entstehen lässt. Diese gingen zu Lasten der Klägerin, da das Gesetz die Geschäftsfähigkeit als Normalfall und die Geschäftsunfähigkeit als Ausnahmetatbestand ansieht (vgl. BGH Urteil vom 20.11.2013, XII ZR 19/11).
Der Beklagte ist mit seinem Vorbringen auch nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Neu ist ein Vorbringen nicht, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlich oder erläutert wird. Hieran gemessen war das Vorbringen des Beklagten nicht neu. Er hat bereits in erster Instanz behauptet, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung geschäftsfähig war. Er hat die Eindrücke des Notars sowie die Einschätzung der behandelnden Krankenhausärzte geschildert und dargelegt, dass sich der Zu-stand der Erblasserin erst nach Einlieferung in das Krankenhaus im Juli 2011 in Folge der Operation und Medikation verschlechtert hat. Mehr musste und konnte der Beklagte mangels eigener Wahrnehmung nicht vortragen. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast, wenn es den Vortrag deswegen für unbeachtlich hält, weil er sich nicht zu konkreten Wahrnehmungen von Wortäußerungen oder Verhaltensweisen der Erblasserin verhält. Seinen Sachvortrag hat der Beklagte sodann in der Berufungsinstanz weiter konkretisiert und seine Beweisanträge wiederholt.“
Anmerkung:
Wird eine Vorsorgevollmacht erteilt und gelangt das Betreuungsgericht dabei zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung bereits Geschäftsunfähigkeit vorgelegen hat, dann wird es regelmäßig den Betreuer beauftragen die Urkunde einzuziehen. Gibt der Bevollmächtigte dann die Urkunde nicht freiwillig heraus, dann muss der Betreuer auf Herausgabe klagen.
In einem von unserer Kanzlei begleiteten langjährigen und höchst komplexen Erbrechtsstreit hatten Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament verfügt, dass eine ihrer Töchter im Wege des Vorausvermächtnisses das Familienheim, eine Villa in Icking, erhält und die 2. Tochter, ebenfalls im Wege eines Vorausvermächtnisses, vorhandenes Geld- und Wertpapiervermögen, um einen Ausgleich zu schaffen und dies jeweils in 2 Erbfällen. Kurz nachdem der Vater verstorben war wurde die Mutter dement. Diejenige Tochter, die nach dem Willen der Eltern nicht die Immobilie, sondern lediglich das Geld- und Wertpapiervermögen erhalten sollte, hatte sich dann kurzerhand von der dementen Mutter eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilen lassen, die sie auch dazu ermächtigt hätte, über die Immobilie zu verfügen und damit das Vorausvermächtnis zu Gunsten ihrer Schwester leerlaufen zu lassen. In dieser Situation blieb als einzige rechtliche Reaktionsmöglichkeit dies (sowie weiteren unkontrollierten Vermögensabfluss) zu verhindern, die Einrichtung einer Betreuung für die Mutter beim zuständigen Betreuungsgericht anzuregen. Das Betreuungsgericht hat dann auch, nachdem das Gericht bereits erhebliche Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Mutter hatte, und ein eingeholtes Gutachten auch eine fortgeschrittene Demenz mit krankhafter Drittbeeinflussbarkeit bestätigt hatte, eine Betreuung eingerichtet und dem Betreuer aufgegeben die erteilte Vorsorgevollmacht einzuziehen, was übrigens im Klageweg erfolgen musste, weil die Tochter die Vollmacht nicht freiwillig herausgeben wollte. Wer nun glaubt, dass damit die Angelegenheit erledigt gewesen wäre, der irrt. Um die Geltung Ihrer Vorsorgevollmacht zu erhalten hat die Tochter drei ärztliche „Expertisen“ vorgelegt, die der Mutter volle Geschäftsfähigkeit bescheinigt hatten. Besonders kurios war dabei, dass eine Stellungnahme von einem Professor aus München mit dem Fachbereich Hals-Nasen-Ohren zur Betreuungsakte gelangte, der die Demenz als altersbedingte Schwerhörigkeit abtun wollte, so das eine professionelle Reinigung der Gehörgänge ein probates Mittel wäre, um die Geschäftsfähigkeit wieder herbeizuführen. Mit diesem war die Tochter seinerzeit eng befreundet. Ebenso kurios war, dass ein am Starnberger See ansässiger Hausarzt, bei dem die Mutter zuvor nie Patientin war, ebenfalls meinte eine Expertise zur Frage der Geschäftsfähigkeit abgeben zu müssen und „seiner Patientin“ volle Geschäftsfähigkeit bescheinigt hat. Bevor die Betreuung angeregt worden ist, war übrigens die Mutter von einem Facharzt für Neurologie und Psychologie, der vormals lange Zeit Gerichtsgutachter und Oberarzt im Bezirkskrankenhaus Haar gewesen war, untersucht. Dieser hatte die Einrichtung einer Betreuung unterstützt, weil er eine völlig hilflose und des orientierte Person vorgefunden hatte.
Die Geschichte zeigt, dass wenn es ums Geld geht mit harten Bandagen gekämpft wird. Dies ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist, dass sich in solchen Fällen auch der eine oder andere Arzt nicht zu schade ist, sich aus Gefälligkeit oder gegen Bezahlung zu kuriosen Expertisen herzugeben.
Übrigens: Eine Betreuung kann von jedermann angeregt werden, der Meinung ist, ein dritter sei so hilfsbedürftig, dass er nicht mehr die erforderliche Einsichtsfähigkeit in die Tragweite seiner Entscheidungen hat. Eine verwandtschaftliche Beziehung ist dafür nicht erforderlich. Hier kann jedermann tätig werden.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.