Die in unserer Gesellschaft stark zunehmende Altersdemenz führt dazu, dass das Hauen und Stechen um das Erbe, gerade bei vermögenden Personen, nicht erst mit Eintritt des Erbfalls beginnt, sondern oft schon viel früher. Dies deshalb, weil sich manchmal ein Kind noch zu Lebzeiten des dementen Elternteils eine umfassende Vorsorgevollmacht einräumen lässt oder zumindest versucht sich eine solche noch wirksam einräumen zu lassen, um sie dazu zu benutzen sich noch vor Eintritt des Erbfalls finanzielle Vorteile zu verschaffen oder eine günstige Ausgangsposition für den nachfolgenden Erbenstreit zu verschaffen.
Der BGH hat mit Beschluss vom 14.10.2015 (XII ZB 177/15) dazu Stellung bezogen, unter welchen Voraussetzungen eine Kontrollbetreuung eingerichtet werden kann, mit dem Ziel eine erteilte Vollmacht zu widerrufen, wenn der Verdacht besteht dass die Vollmacht zum Nachteil des Betroffenen benutzt wurde. Das gefundene Ergebnis ist, jedenfalls auf den ersten Blick, überraschend lebensfremd, lässt es doch den Rückschluss zu, dass die mit der Entscheidung befassten Richter selbst noch keinerlei praktische Erfahrung im Umgang mit dementen Menschen und den Möglichkeiten diese in bestimmten Situationen zum eigenen Nachteil zu beeinflussen gemacht haben.
Im entschiedenen Fall war die Betroffene 81 Jahre alt. Sie litt an Demenz und einem leichten bis mittelschweren hirnorganischen Psychosyndrom. Sie hatte im Jahr 2007 ihrer Tochter, der Beteiligten zu 1), eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt. Die Beteiligte zu 1) war wiederum Eigentümerin mehrerer Immobilien, die alle mit einem Nießbrauch zu Gunsten der Betroffenen belastet waren. Im Februar 2014 schloss die Beteiligte zu 1) dann im eigenen Namen und im Namen der Betroffenen eine Abfindungsvereinbarung, wonach die Betroffene gegen Zahlung einer dinglich gesicherten Leibrente in Höhe von 1.200 € monatlich auf den zu ihren Gunsten eingeräumt Nießbrauch an allen Immobilien verzichtete.
Der Sohn der Betroffenen, der Beteiligte zu 2) hatte bereits im September 2013 aufgrund der Demenz seiner Mutter eine Betreuung für diese angeregt. Daraufhin ist auch durch das zuständige Betreuungsgericht eine Rechtsanwältin zur berufsmäßigen Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis „alle Vermögensangelegenheiten, insbesondere Erbschaftsangelegenheiten“ bestellt worden. Gleichzeitig wurde die Betreuerin ermächtigt erforderlichenfalls erteilte Vollmachten für diesen Aufgabenkreis zu widerrufen. Die Beteiligte zu 1) versuchte mit der eingelegten Rechtsbeschwerde eine Aufhebung der Betreuung zu erreichen und war im Ergebnis erfolgreich.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Beschwerde ist begründet.
Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Daher muss auch vor der Bestellung eines Kontrollbetreuers festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichts-punkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf Grundlage dieser Einschätzung, die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss im Weiteren möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Die Feststellung zum krankheitsbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschlüsse vom 30.07.2014, XII ZB 107/14).
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass die Betroffene „wegen der mangelnden Einsichtsfähigkeit sowie eingeschränkter Urteil- und Kritikfähigkeit“ in ihrer „Geschäftsfähigkeit deutlich eingeschränkt“ sei. Konzediert der Sachverständige indessen selbst, dass die Betroffene wegen ihrer eben nur „eingeschränkten Geschäftsfähigkeit“ möglicherweise für einen gegenständlich abgrenzbaren Kreis von Angelegenheiten noch zu einer freien Willensbildung in der Lage ist, konnte das Landgericht auf dessen Gut-achten nicht ohne weiteres die Feststellung stützen, dass der Betroffene die freie Entscheidung gegen die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach eigen-ständiger Abwägung der für und gegen die Kontrolle ihrer Bevollmächtigten durch einen Betreuer sprechenden Gesichtspunkte nicht mehr möglich ist.
Auch die weitergehenden Ausführungen des Sachverständigen dazu, dass die Betroffene aufgrund ihrer geistigen Einschränkung nicht mehr in der Lage sei, einen Bevollmächtigten zu kontrollieren, führen insoweit nicht weiter, weil sich hieraus zwar Anhaltspunkte für die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen, nicht aber für den Ausschluss der freien Willensbildung in Bezug auf die Betreuerbestellung entnehmen lassen.
Soweit das Landgericht die Kontrollbetreuerin dazu ermächtigt hat, erforderlichenfalls die zugunsten der Beteiligten zu 1 erteilte Vollmacht für den Bereich der Vermögenssorge zu widerrufen, fehlt es hierfür gegenwärtig an einer Grundlage. Beabsichtigt das Gericht, die Befugnisse eines Betreuers auf den Widerruf erteilter Vorsorgevollmachten zu erstrecken, setzt dies tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Selbst wenn behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen sein sollten, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden Kontrollbetreuer positiv auf den Bevollmächtigten einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechnungslegung sowie durch die Ausübung bestehender Weisungsrechte. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheinen, ist die Ermächtigung zum Widerruf der Voll-macht – als ultima ratio – verhältnismäßig (vgl. BGH Beschluss vom 23.09.2015, XII ZB 624/14). Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.“
Anmerkung:
Die Betreuung ist ein Verfahren, das dem Schutz des Betroffenen dient. Jeder, der den Eindruck hat, dass ein anderer nicht mehr die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzt um seine Dinge zu regeln und nach dieser Einsichtsfähigkeit zu handeln, kann beim zuständigen Betreuungsgericht die Bestellung einer Betreuung anregen. Ergeben sich aufgrund des Antrags genügend Anhaltspunkte, wird das Gericht, nachdem es den Betroffenen angehört hat, regelmäßig ein Sachverständigengutachten über den Geisteszustand des Betroffenen einholen und, falls der Gutachter den bereits gewonnenen Eindruck bestätigt, dass eine Geschäftsunfähigkeit vorliegt, eine Betreuung anordnen. Dies jedenfalls dann, wenn keine oder keine wirksame Vorsorgevollmacht vorhanden ist oder aber der Eindruck besteht, dass eine solche Vollmacht erst zu einer Zeit erteilt worden ist, als die Demenz bereits so weit fortgeschritten war, dass keine wirksame Vollmachterteilung mehr möglich war oder aber eine vorhandene Vollmacht zum Nachteil des Betroffenen verwendet wird.
Wer aber meint, nunmehr hätte alles seine Richtigkeit, der irrt, denn selbst dann, wenn eine solche Betreuung angeordnet worden ist und auch erteilte (unwirksame) Vollmachten wirksam eingezogen worden sind, was beispielsweise dann problemlos geht, wenn zwischen der Vollmachterteilung einerseits und der Feststellung der Geschäftsunfähigkeit eine so geringe Zeitspanne liegt, dass rückgeschlossen werden kann, dass bereits zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung Geschäftsunfähigkeit vorgelegen hat, gibt es Fälle, in denen nun erst richtig um die Person des Betreuers gestritten wird. Es macht nämlich aus Sicht desjenigen, der seine erschlichene Vollmacht verloren hat einen erheblichen Unterschied, ob nunmehr ein neutraler Betreuer vorhanden ist oder aber ob ein guter Bekannter Betreuer wird, der diese Rolle lediglich formell bekleidet, während in Wahrheit der oder die vormals Bevollmächtigte die Richtung vorgibt. Der Verfasser hat selbst über Jahre hinweg einen solchen Fall rechtlich begleitet und war verblüfft darüber, wie wenig in derartigen Fällen, als im Beschwerdeweg ein neutraler Betreuer gegen einen engen Bekannten der zuvor unwirksam Bevollmächtigten getauscht wurde, eine vom Gesetzgeber an sich vorgesehene Kontrolle durch das Betreuungsgericht funktioniert. Dies wohl deshalb, weil einerseits die Betreuungsgerichte hoffnungslos überlastet, aber darüber hinaus auch bei komplizierten Fällen mit größerem Vermögen auch oft nicht über die erforderliche Sachkenntnis verfügen, um alles und jenes, was dann vermeintlich im Namen des Betroffenen gemacht wird, ernsthaft überprüfen und kontrollieren zu können. Nicht nur der finanzielle Schaden, der hier angerichtet werden kann ist immens. Menschlich leidtragend sind in derartigen Fällen die hilfsbedürftig Betroffenen selbst, weil sie noch zu Lebzeiten zum Spielball der Begehrlichkeiten ihrer Erben, aber manchmal auch gerichtlicher Unzulänglichkeit werden.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.