Massenentlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen bedürfen nach § 17 KSchG zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats, soweit ein solcher vorhanden ist, und einer vorherigen ordnungsgemäßen Anzeige an die Agentur für Arbeit. Dieser durch § 17 KSchG gewährleistete Schutz ist europarechtlich durch die Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) beeinflusst. So ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (ZIP 2005, 230) unter „Entlassung“ die Kündigungserklärung zu verstehen. Welche Auswirkungen dies auf Arbeitnehmer hat, die sich zum Zeitpunkt der Massenentlassung in Elternzeit befinden, ist bislang uneinheitlich beantwortet worden.
BAG erklärt zunächst Kündigung einer Mutter bei Massenentlassung außerhalb des 30-Tage-Zeitraums für wirksam
So hatte das BAG (NZI 2013,758) zunächst die Kündigung einer Mutter, die sich zur Zeit der wegen einer Betriebsstilllegung durchgeführten Massenentlassung in Elternzeit befunden hat und deren Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf des Zeitraums von 30 Kalendertagen gekündigt wurde, für wirksam gehalten, obwohl die Kündigungen der übrigen Arbeitsverhältnisse mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats unwirksam gewesen waren.
BVerfG kassiert Urteil des BAG wegen Diskriminierung der Arbeitnehmerin
Die Arbeitnehmerin hat das Urteil allerdings nicht akzeptiert, sondern zog damit vor das Bundesverfassungsgericht und hatte Erfolg. Die Verfassungsrichter haben das Urteil aufgehoben, weil es die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 GG iVm Art. 6 GG verletzt. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil das Abwarten der wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. In diesen Fällen gelte der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt sei.
BAG erklärt nach den Vorgaben des BVerfG Kündigung für unwirksam
Da das BAG an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden ist, hat es trotz der damit verbundenen Probleme die Kündigung für unwirksam klärt. Solche Probleme können, weil sie dann entstehen, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Frist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt wird oder wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten Welle von Kündigungen ist, die ebenfalls § 17 KSchG unterliegt. Solange die Wirtschaft boomt, sind die Probleme eher theoretischer Natur. Sollte sich diese aber irgendwann eindrücken und Massenentlassungen als Vorboten zur Insolvenz zunehmen, dann könnte die Problematik durchaus praktische Relevanz erlangen.