Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14.11.2017 (1 BvR 617/14) haben Hartz IV-Empfänger keinen Anspruch auf eine volle Übernahme ihrer Wohnkosten. Vielmehr sei es mit dem gesetzlich garantierten Existenzminimum zu vereinbaren, dass Jobcenter die Erstattung auf einen Betrag begrenzen, der für vergleichbare Wohnungen im „unteren Preissegment“ üblich sei. Das, was auf den ersten Blick für diejenigen, die kein Hartz IV beziehen, nach einer längst überfälligen vernünftigen und wünschenswerten Entscheidung aussieht, dürfte auf den zweiten Blick verheerende Auswirkungen für viele Hartz IV-Empfänger haben, weil nämlich gerade in Ballungszentren, in dem vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen „unteren Preissegment“ kaum alternativer Wohnraum zur Verfügung steht, den betroffenen Menschen statt der derzeit bewohnten zu teuren oder zu großen Wohnung anmieten könnten.
77 m² sind für eine alleinstehende Person zu viel
Geklagt hatte eine alleinstehende Frau, die bereits seit 20 Jahren in ihrer 77 m² großen Wohnung in Freiburg gewohnt hatte, bevor sie dann ab 2005 Hartz IV-Bezieher wurde. Während das Jobcenter zunächst noch die Kaltmiete vollständig erstattet hatte, hatte die Erstattung ab 2008 eingeschränkt. Die Mieterin erhielt von diesem Zeitpunkt an nur noch 364 € und dies, obwohl die Kaltmiete mit 524 €, für Freiburg ohnehin bereits „günstig“ war.
Da die Klagen der Frau vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht erfolglos geblieben waren, zog sie schließlich in letzter Not vor das Bundesverfassungsgericht und rügte, dass ihr Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt worden sei.
Mietkostenerstattung auf den Betrag begrenzt, der für vergleichbare Wohnungen im unteren Preissegment üblich ist
Das sahen jedoch die Verfassungsrichter anders. Dies deshalb, weil zwar der Staat einerseits ein Existenzminimum garantieren müsse, dies aber andererseits nicht bedeutet, dass bei einer eingetretenen Bedürftigkeit der Staat jedwede Unterkunft finanzieren und Mietkosten unbegrenzt zu erstatten hätte. Die Jobcenter seien vielmehr berechtigt und verpflichtet die Erstattung auf einen Betrag zu begrenzen, der für vergleichbare Wohnungen im unteren Preissegment üblich sei.
Was die Richter damit zum Ausdruck bringen wollten ist klar, nämlich dass derjenige, der, gleichgültig ob verschuldet oder unverschuldet, in finanzielle Not gerät, keinen Anspruch darauf hat, dass ihm im Falle der Bedürftigkeit seine bisher von ihm in besseren Zeiten angemietete (Luxus-)Wohnung bei Hartz IV-Bezug auf Kosten der Allgemeinheit weiter finanziert wird. Wer sozial absteigt, der muss auch Abstriche an der Wohnqualität hinnehmen, so der Kerngedanke der Entscheidung.
Urteil kaum mit dem Mietmarkt in Einklang zu bringen
Das, was auf den ersten Blick nur recht und billig erscheint, ist auf den zweiten Blick aber kaum mit dem aktuellen Mietmarkt in Einklang zu bringen. Dies deshalb, weil gerade in Ballungsgebieten, durch Versäumnisse der Wohnungsbaupolitik über viele Jahre hinweg einerseits, verschärft durch den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten in großer Anzahl andererseits, im unteren Preissegment, auf das Gericht abstellt, kein oder kaum frei verfügbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Folge ist, dass all diejenigen, die von dem Urteil betroffen sind und denen nun die Erstattung (weiter) gekürzt wird, in Wahrheit nicht frei wählen können, ob sie sich den „Luxus“ leisten, aus ihren sonstigen Hartz IV-Bezügen die Differenz zu bezahlen, sich also die Miete förmlich vom Munde absparen, oder aber in eine kostengünstigere Wohnung umzuziehen, sondern dass diese Menschen mangels zur Verfügung stehende Alternativen über kurz oder lang so in Mietrückstand geraten werden, dass unweigerlich die Kündigung des Mietverhältnisses, was ab einem Mietrückstand von zwei vollständig Monatsmieten möglich ist, fristlos gekündigt werden wird.
Gerade heute hat eine große Münchner Tageszeitung darüber berichtet, dass die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland bereits seit 2014 um 150 % auf mehr als 500.000 € angestiegen sei und 2016 bereits 860.000 Menschen in Deutschland wohnungslos sein sollen. Bis 2018 wird sogar ein Anstieg auf 1,2 Millionen Menschen, also um weitere 350.000 Menschen prognostiziert. Die Zeitung beruft sich dabei auf die neuen Zahlen die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gerade in Berlin vorgelegt hatte.
Wie viele Quadratmeter und welche Kosten sind angemessen?
Wie viele Quadratmeter für einen Menschen angemessen sind, hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Aus der Rechtsprechung Sozialgerichte lassen sich aber Richtwerte ablesen, bei denen die Wohnung für einen alleinstehenden nicht größer als 45-50 m², für 2 Personen nicht größer als 60 m² sein darf und für jede weitere Person 15 m² hinzugerechnet werden.
Während sich die Größe der Wohnung bundeseinheitlich betrachten lässt, ist die Preisspanne dessen, was beispielsweise für einen ein Personen Haushalt als angemessen betrachtet wird, regional recht unterschiedlich. Die Preisspanne bewegt sich dabei zwischen 213 € und 643 €. Wer als Single schon einmal in München auf Wohnungssuche war, weiß, dass dafür kaum ein Zimmer Wohnungen am freien Markt verfügbar sind. Wem also hier der Abstieg in der Hartz IV bevorsteht und wir derzeit noch eine größere oder teurere Wohnung bewohnt, der wird alsbald die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts am eigenen Leib zu spüren bekommen.