Mit fortschreitender Coronapandemie und damit verbundener staatlichen Betriebseingriffen geraten immer mehr Arbeitsverhältnisse in Gefahr. Spätestens mit Wegfall des Kurzarbeitergeldes oder der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht drohen zahlreichen Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen. Aber nicht jede betriebsbedingte Kündigung ist wirksam. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung hier aufstellt, sind hoch und werden auch durch die Corona-Pandemie nicht aufgeweicht. So reicht es beispielsweise nicht aus als Kündigungsgrund lediglich auf die Coronapandemie und damit verbundene Umsatzrückgänge oder Auftragswegfall zu verweisen. Für Arbeitgeber, die sich mit dem Gedanken tragen, Arbeitsplätze betriebsbedingt zu kündigen, ist daher wichtig, die Kündigung nicht vorschnell auszusprechen, sondern sich dezidiert Gedanken zu machen und die Kündigung stichhaltig zu begründen. Umgekehrt sollten Arbeitnehmer nicht ohne weiteres eine betriebsbedingte Kündigung hinnehmen. Der Teufel steckt hier oft im Detail und viele Arbeitgeber mache hier aus Unkenntnis und/oder Unachtsamkeit Fehler, die sie später teuer zu stehen kommen. Dies verdeutlicht ein Urteil des Arbeitsgerichts München vom 18.01.2021 (16 Ca 5462/20) das unsere Kanzlei für einen Arbeitnehmer erstritten hat. Das Gericht hat sich hierbei nahezu mustergültig mit den Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung auseinandergesetzt und dabei zunächst klargestellt, dass der bloß schlagwortartige Hinweis auf einen Auftragsrückgang, der durch die Corona-Pandemie verursacht wurde, zur Begründung eines außerbetrieblichen Kündigungsgrundes nicht ausreichend ist. Auch die seitens des Arbeitgebers vorgetragene Entscheidung des Geschäftsführers 1,5 – 2 Arbeitsplätze abzubauen hatte dem Gericht nicht ausgereicht, weil hinreichend substantiierter Sachvortrag gefehlt hat. Schließlich hatte das Gericht auch eine fehlerhafte Sozialauswahl gerügt, weil der Arbeitgeber eine weniger schutzwürdige Mitarbeiterin zu Unrecht aus der Sozialauswahl herausgenommen hatte.
Kündigung wegen coronabedingten Wegfall des Beschäftigungsbedarfs
Der Kläger war bei der Beklagten, die elektrische Antriebssysteme entwickelt, seit April 2015 in Teilzeit beschäftigt. Mit Schreiben vom 30.04.2020 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30.06.2020 gekündigt. Zur Begründung gab die Beklagte an:
„Die Kündigung ist aus betriebsbedingten Gründen notwendig. So sind in den letzten Monaten die Aufträge im Bereich Elektronikfertigung/Fertigung derart zurück-gegangen, dass wir Sie leider nicht weiter beschäftigen können.“
Neben dem Kläger wurde noch einem weiteren Mitarbeiter gekündigt, der sich noch in der Probezeit befand. Die Beklagte hat auch eine Sozialauswahl durchgeführt. Eine mit dem Kläger vergleichbare Mitarbeiterin, die zum Kündigungszeitpunkt eine geringere Betriebszugehörigkeit hatte und jünger war, wurde von der Beklagten aus der Sozialauswahl herausgenommen, weil diese nach Ansicht der Beklagten über Fähigkeiten verfügte, die der Kläger nicht vorzuweisen hatte.
Mit seiner Klage zum Arbeitsgericht München hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs bestritten. Kurzarbeit sei bei der Beklagten nie ein Thema gewesen. Auch die Kündigung des weiteren Mitarbeiters habe nichts mit dem Rückgang des Beschäftigungsbedarf zu tun gehabt. Stattdessen habe der Arbeitgeber diesen während der Probezeit gekündigt, weil die Kollegen mehrheitlich die Auffassung vertreten hatten, dass dieser aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten nicht ins Team passen würde. Deshalb habe die Beklagte „die Reißleine“ gezogen. Auch war der Kläger der Auffassung, dass die Sozialauswahl fehlerhaft war, weil der Arbeitgeber zu Unrecht eine Mitarbeiterin, die weniger schutzwürdig als der Kläger gewesen sei, von der Sozialauswahl ausgenommen hätte.
Das Gericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und festgestellt, dass die Kündigung nicht aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG gewesen sei.
Allgemeine Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung
Zur Begründung hat das Gericht zunächst die allgemeinen Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung dargestellt und dazu ausgeführt:
„a)
Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung (u. a.) sozial gerechtfertigt, wenn sie durchdringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Betriebliche Erfordernisse, die zur Kündigung führen, können sich aus inner- und außerbetrieblichen Umständen ergeben (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 − 2 AZR 770/09).
aa)
Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren betrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiter-beschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Diese unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 − 2 AZR 770/09). Die beschränkte Überprüfungsmöglichkeit betrifft aber nicht die Umstände der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung. Diese sind unter dem Gesichtspunkt der Sachlichkeit und der dringenden Erforderlichkeit in vollem Umfang von den Arbeitsgerichten zu überprüfen (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 − 2 AZR 770/09). Der Arbeitgeber hat daher substantiiert darzulegen, welche unternehmerische Entscheidung er getroffen hat und wie sich deren Umsetzung konkret auf die Beschäftigungsmöglichkeiten der gekündigten Arbeitnehmer in welchem Umfang ausgewirkt hat.
Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unter-scheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG, Urteil vom 26.01.2012 − 2 AZR 102/11). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte oder die zu Grunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG, Urteil vom 26.01.2012 − 2 AZR 102/11). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt wer-den können (BAG, Urteil vom 26.01.2012 − 2 AZR 102/11).
bb)
Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich auch aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes o-der eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall – dauerhaft – so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG, Urteil vom 26.01.2012 − 2 AZR 102/11). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorla-gen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine – kurzfristige – Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG, Urteil vom 26.01.2012 − 2 AZR 102/11).“
Kündigung weder aus außerbetrieblichen noch innerbetrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt
Sodann hat das Gericht dargelegt, warum nach seiner Ansicht die Kündigung vom 30.04.2020 weder aus außerbetrieblichen noch aus innerbetrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt war.
Keine außerbetrieblichen Kündigungsgründe
„Der bloße schlagwortartige Hinweis der Beklagten auf einen Auftragsrückgang, der durch die Corona-Pandemie verursacht wurde, ist zur Begründung eines außerbetrieblichen Kündigungsgrundes nicht ausreichend. Hieraus lässt sich nicht ableiten, inwieweit im Kündigungszeitpunkt in welchem Umfang von einem dauerhaften Auftragsrückgang auszugehen war und welche Auswirkungen dies konkret auf den Arbeitskräftebedarf hatte.“
Auch keine innerbetrieblichen Kündigungsgründe
„Auch liegen keine innerbetrieblichen Gründe vor. Die Entscheidung des Geschäftsführers, 1,5 bis 2 Arbeitsplätze abzubauen, ist ohne näheren Sachvortrag nicht überprüfbar. Es ist nicht substantiiert dargelegt worden, in welchem Umfang konkret welche Arbeitsaufgaben entfallen sind und wie die noch vorhandene Arbeit von den verbliebenen Arbeitnehmern ohne überobligatorische Leistungen erledigt werden können.“
Zudem Sozialauswahl fehlerhaft
Daneben waren die Richter auch der Meinung, dass die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam sei.
„Frau … ist weniger sozial schutzwürdig als der Kläger, da sie jünger als dieser ist und auch eine kürzere Betriebszugehörigkeit hat. Beide haben keine Unterhaltspflichten und sind nicht schwerbehindert.
Die Beklagte hätte Frau … nicht gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG aus der Sozialauswahl herausnehmen dürfen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG liegt beim Arbeitgeber (BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 907/06).
Die vom Arbeitgeber mit der Herausnahme verfolgten Interessen müssen auch im Kontext der Sozialauswahl berechtigt sein. Das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des so genannten Leistungsträgers abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein (BAG, Urteil vom 22.03.2012 − 2 AZR 167/11).
Sofern dem Kläger tatsächlich im Gegensatz zu Frau … erforderliche Kenntnisse im Hinblick auf das Programm Excel oder die Bedienung der neuen Bondmaschine fehlen sollten, wäre eine Herausnahme von Frau … aus der Sozialauswahl nach Ansicht der Kammer allenfalls denkbar, wenn dem Kläger die fehlenden Kenntnisse nicht in zumutbarer Zeit hätten vermittelt werden können. Eine zumutbare Fortbildungsdauer wäre die Dauer der Kündigungsfrist von zwei Monaten gewesen. Wieso entsprechende Schulungen nicht erfolgversprechend gewesen wären, ist von der Beklagten nicht hinreichend konkret dargelegt worden.“
Anmerkung:
Das Urteil kann als Musterschablone für jede betriebsbedingte Kündigung herangezogen werden. Aufgrund der fundierten Begründung hat der Arbeitgeber von einem Berufungsverfahren Abstand genommen und dem Kläger, damit dieser nicht den Betrieb zurückkehrt, stattdessen ein Angebot unterbreitet, dass dieser nicht ablehnen konnte …
Wenn Sie Arbeitnehmer sind, dann können Sie anhand des Urteils sich einen Überblick darüber verschaffen, ob ihr Arbeitgeber die Kriterien, die das Arbeitsgericht hier herausgearbeitet hat, auch beachtet hat. Wenn Sie dagegen Arbeitgeber sind, dann können Sie anhand des Urteils erkennen, worauf Sie achten müssen und wo Begründungsbedarf steht.
Wir beraten und vertreten sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber (nicht nur) bei betriebsbedingten Kündigungen bundesweit. Als Arbeitgeber sollten Sie sich in jedem Fall vor Ausspruch einer Kündigung qualifiziert beraten lassen. Als Arbeitnehmer wiederum sollten Sie bei Erhalt einer Kündigung vom Fachmann prüfen lassen, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist die Kündigung anzugreifen. In den meisten Fällen wird dies der Fall sein. Beim Arbeitsgericht besteht in 1. Instanz zwar kein Anwaltszwang. Die besseren Ergebnisse erzielen Sie aber meistens sowohl als Arbeitnehmer als auch als Arbeitgeber, wenn Sie den Rechtsstreit nicht selbst führen, sondern anwaltlich vertreten sind.