Einen ersten Lichtblick für die Betreiber von Fitnessstudios liefert ein Beschluss des VG Hamburg vom 10.11.2020 (13 E 4550/20) in dem die Hamburger Richter einem Eilantrag des Betreibers der Fitnesskette Fitness First stattgegeben haben, weil nach Auffassung der Richter die Schließung von Fitnessstudios in der sogenannten Corona-Eindämmungsverordnung der Stadt Hamburg rechtswidrig sei.
Schwerwiegende Verletzung der Berufsfreiheit
Nach Auffassung der Hamburger Richter verletzt die Regelung der Hamburger Corona-Schutzverordnung, die vorsieht, dass Fitnessstudios nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden dürfen, schwerwiegend im Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG.
Es fehlt an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage für den Rechtseingriff
Dieser Rechtseingriff durch die Corona-Schutzverordnung sei rechtlich schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil es für diese an einer hinreichend konkreten Ermächtigungsgrundlage fehle, so die Richter. Zwar würden die Landesregierungen durch § 32 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermächtigt, die nach den §§ 28 -31 IfSG möglichen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch Rechtsverordnung zu erlassen. Allerdings sieht das Gesetz keine hinreichend konkrete Regelung vor, die es erlauben würde die unternehmerische Tätigkeit von sog. Nichtstören zu verbieten. Da insoweit als Ermächtigungsgrundlage nur die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage in Betracht komme, sei dies aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs nicht mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, der vorsieht, dass Entscheidungen von besonderem Gewicht die Zustimmung des Parlamentes benötigen, zu vereinbaren. Die Richter haben dabei zugleich klargestellt, dass dieser Mangel auch bei einer bloß summarischen Prüfung im Rahmen eines vorläufigen Rechtschutzverfahren so klar zutage trete, dass klar sei, dass diese auch in einem Hauptsacheverfahren nicht anders zu bewerten sein werde. Für eine Interessenabwägung, wie sie ansonsten in vorläufigen Rechtschutzverfahren vorgenommen werden kann, sei daher kein Raum. Die Richter haben dabei insbesondere beanstandet, dass gesetzlich nicht alle wesentlichen Entscheidungen bezüglich des inzwischen doch vorhersehbaren Infektionsgeschehens vom Gesetzgeber getroffen seien. Eine Generalklausel könne dem nicht entsprechen, weil dort gerade nicht geregelt wird, unter welchen Umständen und mit welchem Ziel die Verwaltung welche Grundrechte beschränken darf. Da eine Vielzahl von Maßnahmen möglich sei und auch eine Vielzahl von Grundrechten betroffen werden könne, sei zwingend eine gesetzgeberische Entscheidung erforderlich. Da der Gesetzgeber seit Beginn der Pandemie auch bereits Änderungen am Infektionsschutzgesetz vorgenommen habe, habe das Parlament seine Handlungsfähigkeit gezeigt. Nachdem die „2. Welle“ bereits seit dem Sommer voraussehbar war, sei der Gesetzgeber auch nicht, im Gegensatz zur Situation im März, vom Anstieg der Infektionszahlen überrascht worden. Von daher komme ein in der Übergangszeit aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls tolerabler Rückgriff der Verwaltung auf Generalklausel nun nicht mehr in Betracht.
Schließung stellt Sonderopfer für die Gemeinschaft dar
Weiter haben die Richter klargestellt, dass die Schließung der Fitnessstudios für den Betreiber ein Sonderopfer für die Gemeinschaft darstellen würde. Soweit die Ministerpräsidenten der Länder und die Bundeskanzlerin Entschädigungen in Aussicht gestellt hätten, handle es sich bislang um bloße politische Absichtserklärungen, zu denen gesetzlich noch nichts geregelt sei. Es könne daher nicht geprüft werden, ob hierdurch ein möglicher mildernder Effekt eintreten werde. Es läge aber auf der Hand, dass durch die jetzt angeordnete Schließung es nicht nur zu vorübergehenden Liquiditätsengpass, sondern auch längerfristigen Zahlungsschwierigkeiten kommen könne.
Was Sie sonst noch wissen sollten
Dies sind nicht nur klare Worte der Hamburger Richter, sondern nach dem Rechtsverständnis des Verfassers auch zutreffende Worte. Gerade in Krisen, sei es in der Flüchtlingskrise 2015, aber auch in der Coronakrise 2020, wird überraschend schnell geltendes Recht außer Kraft gesetzt und die Akteure sind nicht mehr die vom Volk gewählten Vertreter, sondern die Exekutive, was bereits per se mit dem in Deutschland geltenden Gewaltenteilungsgrundsatz kaum zu vereinbaren ist. Wer nun allerdings meint, dass jetzt alles gut wird, jedenfalls aus Sicht der Betreiber von Fitnessstudios, der irrt.
Solche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gelten nämlich nicht allgemeinverbindlich, sondern wirken nur Inter partes, also zwischen den am Verfahren Beteiligten. Dies würde bedeuten, dass also hier nur der Betreiber, der den Antrag gestellt hat, seine Fitnessstudios wieder aufmachen darf, während die Betreiber anderer Fitnessstudios in Hamburg, wenn auch sie wieder öffnen möchten, in ähnlicher Weise das Verwaltungsgericht anrufen müssten. Allerdings ist die Stadt Hamburg nicht untätig geblieben, sondern hat sofort Beschwerde zum OVG Hamburg eingelegt. Dort sind die Richter ebenfalls nicht untätig geblieben, sondern haben, noch bevor sie überhaupt über die Beschwerde entschieden haben, verfügt, dass auch diese Studios – jedenfalls bis zur Entscheidung über die Beschwerde – geschlossen bleiben müssen.
Außerhalb Hamburgs sieht es für die Betreiber von Fitnessstudios vor Gericht noch schlechter aus, denn z.B. das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 10. November 2020, 2 KM 768/20 OVG), das Oberverwaltungsgericht des Landes Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 9. November 2020, 6 B 113445/20 OVG – Tennishalle) und des OVG Saarland (Beschluss vom 10. November 2020,2 B 308/20) haben genau gegenteilig entschieden und die Fitnessstudios zugelassen. Die Richter haben dabei schwerpunktmäßig damit argumentiert, dass der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Vorrang vor der Berufsfreiheit habe. Beim Sport in geschlossenen Räumen könnten verstärkt infektiöse Aerosole ausgestoßen werden und auch die Hygienekonzepte der Studios änderten nichts daran. Da die Maßnahmen zum einen zeitlich befristet und zum anderen auch Hilfen für die Unternehmer beschlossen seien, sei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
Die unterschiedlichen Entscheidungen zeigen zweierlei, nämlich wie willkürlich gerichtliche Entscheidungen zwischenzeitlich sind. Ein und derselbe Sachverhalt wird von unterschiedlichen Gerichten unterschiedlich beurteilt. Mit Rechtssicherheit hat dies nichts zu tun. Wenn selbst der juristische Fachmann nicht mehr in der Lage ist vorab auch nur im Ansatz die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs zu beurteilen, dann ist nach Meinung des Verfassers der Rechtsstaat in Gefahr. Erschreckend zeigen die Entscheidungen der unterschiedlichen Oberverwaltungsgerichte aber auch, dass dort offensichtlich nicht nur eine ganz erhebliche Unkenntnis über das Infektionsgeschehen herrscht, sondern auch der von den Richters Hamburg wirklich bemerkenswert herausgearbeiteten Grundsätze der Gewaltenteilung, gänzlich unbeachtet bleiben. Das, was dem Jurastudenten zu Beginn des Jurastudiums im Fach Verfassungsrecht eingebläut wird, nämlich dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, und deswegen jeder Eingriff in ein Grundrecht immer durch eine Ermächtigungsgrundlage in einem formellen Gesetz, also einem Gesetz, dass das Parlament erlassen und damit den Eingriff legitimiert hat, gedeckt sein muss, gilt offensichtlich an vielen Verwaltungsgerichten, die an sich genau dies kontrollieren und auf die Einhaltung pochen sollen, nichts mehr oder nicht mehr viel. Dies verdeutlicht auch, dass Angst, insbesondere dann, wenn sie auf Unwissenheit beruht, in jeder Lebenslage ein schlechter Ratgeber ist. So lange nämlich noch vollgestopfte öffentliche Verkehrsmittel mit vollen U-Bahnsteigen unangetastet im Einsatz sind, solange wird mit zweierlei Maß gemessen. Der erfolgreiche Hamburger Fitnessstudiobetreiber hatte seine Klage unter anderem auf eine europaweite Studie des Branchenverbands EuropeActive gestützt. Dieser war dabei zum Ergebnis gelangt, dass mit 0,78 pro 100.000 Besucher die Infektionsrate im Fitnessstudio ausgesprochen niedrig liegen würde. Dies verdeutlicht auch, dass die Schließung der Studios nicht nur in die Berufsfreiheit eingreift, sondern darüber hinaus auch willkürlich ist.
Hinzu kommt, dass allen Regelungen immanent ist, dass diese nicht ausreichend differenzieren. Es dürfte nämlich doch einen Unterschied machen, ob beispielsweise ein Fitnessstudio über sehr große offene Räumlichkeiten verfügt, in denen gleichzeitig viele Menschen trainieren, oder aber, ob es sich um ein kleines Studio handelt, in dem nur wenige Personen gleichzeitig auf Gerätschaften trainieren, die auch noch durch aufgestellte Trennwände voneinander räumlich getrennt sind. Nachdem der Gleichheitsgrundsatz nicht nur gebietet gleiches gleich zu behandeln, sondern auch verbietet ungleiches gleich zu behandeln, dürfte im Einzelfall auch der Gleichheitsgrundsatz ein durchaus tragfähiges Argument sein, um erfolgreich gegen rechtswidrige Schließungsanordnungen vor Gericht vorzugehen. Letztlich hängt es aber, wie die hier aufgezeigte Rechtsprechung verdeutlicht, im Einzelfall dann davon ab, auf wessen Schreibtisch die Akte landet. Nachdem es zwischenzeitlich in der Politik auch in Mode gekommen ist, Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, die zu weitgehende Maßnahme der Exekutive korrigieren, lautstark medial anzugreifen und Richter als „verantwortungslos“ darzustellen, ist zu befürchten, dass auf Dauer die Kontrolle der Verwaltung durch die Rechtsprechung immer weniger stattfinden wird. Der Mensch gewöhnt sich schließlich an alles. Auch an die Beschneidung seiner Grundrechte. Der Laie staunt und der Fachmann wundert sich.