Der Zugang zum Recht muss auch in Zeiten der Coronakrise uneingeschränkt gewährleistet sein. Anwälte und Anwältinnen sind nämlich für das Funktionieren des Rechtsstaates unerlässlich. Als unabhängige Organe der Rechtspflege sind wir daher systemrelevant. Deshalb ist es Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen auch gestattet die eigene Kanzlei aufzusuchen und den Kanzleibetrieb aufrechtzuerhalten. Gleichwohl enthalten die Corona-Verordnungen der meisten Bundesländer Regelungen, die Rechtsuchenden den persönlichen Kontakt mit einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens grundsätzlich untersagen und den Gang zum Anwalt nur in dringenden Fällen gestatten und damit nicht nur an den Grundfesten des Rechtsstaats“ kratzen“, sondern auch in die Berufsausübungsfreiheit der Rechtsanwaltschaft eingreifen.
Kein Auskunftsanspruch der Polizei zu Einzelheiten einer beabsichtigten anwaltlichen Beratung oder Vertretung
Exemplarisch für die Corona-Verordnung in Berlin hat nun das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 8. April 2020 – OVG 11 S 20/20) die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Regelung bejaht und damit einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin ((VG Berlin, Beschluss vom 2. April 2020 – VG 14 L 31.20), in dem dieses den Eilantrag eines Berliner Anwalts zurückgewiesen hatte, bestätigt. Gleichzeitig haben die Richter am OVG aber klargestellt, dass das Mandatsgeheimnis auch in Zeiten von Corona gewahrt bleiben muss. Dies bedeutet, dass Rechtsuchende, die auf dem Weg zum Anwalt sind und von der Polizei angehalten werden, gegenüber den Polizeibeamten keine Auskunftspflicht hinsichtlich der Einzelheiten der anwaltlichen Beratung oder Vertretung haben. Dies bedeutet im Klartext, dass Polizeibeamte sich mit der Auskunft, dass man auf dem Weg zum Rechtsanwalt sei, und es sich um einen dringenden Fall handelt, was hiermit versichert wird, zufriedengeben müssen. Polizeibeamte sind also nicht befugt, nachzuprüfen, ob der Grund des Besuchs als „dringender Fall“ einzustufen ist.
Gesetzliche Einschränkung des Besuchsrechts für Anwaltskanzleien grundsätzlich kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit sowie keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
Der Anwalt, der in Berlin vor Gericht gezogen war, sah in der angegriffenen Regelung einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Grundrecht der Berufsfreiheit sowie eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Richter sahen dies (erwartungsgemäß) anders.
Eingriff in Berufsausübungsfreiheit ist verhältnismäßig
Die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Regelungen, die das Besuchsrecht von Rechtsuchenden in Anwaltskanzleien einschränkt, und damit in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Anwaltschaft eingreift, haben die Richter damit begründet, dass der hohe Rang von Leben und Gesundheit eine solche Regelung als geeignet, erforderlich und angemessen erscheinen lasse. Dies auch vor dem Hintergrund, weil ja für dringende Fälle, eine Ausnahme möglich sei.
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt
Anwälte würden, so die Richter, im Vergleich zu Gewerbebetrieben, deren Besuchsrecht nach der Coronaverordnung nicht eingeschränkt worden ist, auch nicht im Sinne von Art. 3 GG diskriminiert. Der Kläger hatte damit argumentiert, dass beispielsweise auch beim Einkaufen in Supermärkten ein persönlicher Kontakt stattfinden würde. Nach Auffassung der Richter sei hier aber der Unterschied, dass nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Verordnungsgebers dies zur Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Lebens notwendig sei, so dass es sich um eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung handeln würde.
Die Frage der Dringlichkeit beantwortet der Anwalt
So die gesetzlichen Regelungen in „dringenden Fällen“ den Besuch einer Anwaltskanzlei gestatten, so handelt es sich dabei rechtstechnisch um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff. Vom Grundsatz her können unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht nachgeprüft werden; sie sind also justiziabel.
Im vorliegenden Fall wird dies aber ausnahmsweise nicht gelten, denn der Schutz des Mandatsgeheimnisses verbietet es nicht nur der Polizei oder Ordnungsbehörde (in Bayern Sicherheitsbehörde) einen Auskunftsanspruch zum Zweck des Kanzleibesuchs einzuräumen, sondern gesetzt den Fall, ein Polizeibeamter würde dem Rechtsuchenden die Dringlichkeit des Kanzleibesuchs nicht glauben und deshalb ein Bußgeld verhängen, so müsste sich wohl im Rahmen einer gerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Bußgeldbescheids ein Gericht mit der Aussage des gesuchten Rechtsanwalts oder der Rechtsanwältin, dass der Besuch dringlich gewesen sei, zufrieden geben, ohne dass hier im Detail der Grund des Besuchs offenbart werden müsste. Eine andere Betrachtung wäre nämlich nicht mit der Wahrung des Mandatsgeheimnisses zu vereinbaren.
Das sollten Sie beachten, wenn Sie ein Rechtsproblem haben und überlegen einen Rechtsanwalt aufzusuchen
Für die Praxis bedeutet dies, dass dann, wenn Sie (nach telefonischer Vorankündigung) eine Anwaltskanzlei aufsuchen möchten und der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin Ihres Vertrauens auch bereit ist, Sie zu treffen, ein solches Treffen grundsätzlich möglich ist.
Aber, Hand aufs Herz: Die meisten solcher Treffen werden nicht dringlich sein, weil sich Ihr Anliegen regelmäßig bestens im Wege der Fernkommunikation, also per E-Mail, Telefon, oder wenn Sie und Ihr Anwalt besonders technisch versiert sind, auch per Videocall erledigen lässt. Mit unseren Firmenmandanten kommunizieren wir seit Jahren nahezu ausschließlich auf diesem Weg und alles klappt bestens. Es zeigt sich aber auch seit Beginn der Krise, dass immer mehr Privatpersonen diese Art der Kommunikation in Anspruch nehmen und auch zu schätzen wissen, weil es so meist sogar möglich ist, noch am gleichen Tag die Auskunft zu bekommen.
Der Verfasser würde eine solche Dringlichkeit, also die Notwendigkeit einer persönlichen Besprechung allerdings immer dann annehmen, wenn das, was besprochen wird, wirklich nur die Ohren des Anwalts erreichen soll. Dies deshalb, weil bekanntermaßen sowohl die (unverschlüsselte) Kommunikation per E-Mail, aber erst recht die Kommunikation über Telefon, insbesondere Mobiltelefon, die Sicherheit eines anwaltlichen Besprechungszimmers nicht bietet. Von daher werden in erster Linie vertrauliche Gespräche, die eine mögliche Strafbarkeit des Rechtsuchenden zum Inhalt haben, auch in der Coronakrise (mit Mundschutz) in den Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei geführt werden. Alles andere dürfte nicht „dringlich“ im Sinne der Coronaverordnungen sein.
Anmerkung:
Die vorgenannten Grundsätze gelten übrigens nicht nur beim Besuch in einer Anwaltskanzlei, sondern auch analog für den Besuch eines Notariats.