Der Coronavirus Covid-19 hat mittlerweile nicht nur ganz Deutschland erreicht, sondern die Coronakrise hat zwischenzeitlich auch Einzug ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gehalten, denn der Gesetzgeber hat im Schnelldurchlauf vorübergehend eine Reihe von grundlegenden Regelungen für das wirtschaftliche Zusammenleben in einer Gesellschaft modifiziert oder außer Kraft gesetzt, sondern auch ganz massiv in bestehende Verträge durch die neu geschaffene Regelung des Art. 240 EGBGB eingegriffen. Die Regelungen, die klammen Schuldnern helfen sollen, gelten zunächst bis zum 30.06.2020. Eine Verlängerungsmöglichkeit bis zum 30.09.2020 ist aber im Gesetz vorgesehen. Auch, wenn die Regelungen am 1. April in Kraft getreten sind, so handelt es sich nicht, wie manche meinen möchten, um einen Aprilscherz, sondern um temporär geltendes Recht, das nicht wirklich hilft, sondern Probleme nur nach hinten verlagert.
Der zivilrechtliche Grundsatz „Geld hat man zu haben“ wird (vorübergehend) außer Kraft gesetzt
Jeder Jurastudent lernt in den ersten Semestern, dass ein tragender Grundsatz des Deutschen Privatrechts die Vertragsautonomie sowie die Vertragstreue ist und im Rechtsverkehr der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ gilt, was bedeutet, dass eine mangelnde Zahlungsfähigkeit im Verkehr zwischen Privaten (mit Ausnahme des Insolvenzrechts) unbeachtlich ist. In der neu geschaffenen Regelung des Art. 240 § 1 EGBGB wird nun dieser Grundsatz außer Kraft gesetzt, in dem der Gesetzgeber Verbrauchern und Kleinstunternehmen, dies sind Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von bis zu 2 Millionen €, für wesentliche Dauerschuldverhältnisse ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt.
In Art. 240 § 1 Abs. 1 und 2 EGBGB ist also nun geregelt, dass Verbraucher und Kleinstunternehmen bei einer auf das Coronavirus zurückzuführen Leistungsunfähigkeit Leistungen, die aus einem wesentlichen Dauerschuldverhältnis herrühren, vorübergehend verweigern dürfen. Nach Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB darf von dieser Regelung nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden. Es handelt sich um einen tiefgreifenden staatlichen Eingriff in den das deutsche Zivilrecht prägenden Grundsatz der Privatautonomie. Der Gesetzgeber verlagert damit das allgemeine Lebensrisiko vom Schuldner auf den Gläubiger, denn Gläubigern wird die Möglichkeit abgeschnitten im Rahmen der Rechtsordnung gegen säumige Schuldner vorzugehen, also offene Forderungen mit gerichtlicher Hilfe titulieren und mit den staatlichen Vollstreckungsorganen auch durchsetzen zu lassen. Bei einer solchen Regelung staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, ist dies doch gesetzlich verordneter Sozialismus.
So funktioniert das neue Leistungsverweigerungsrecht
Um zu verstehen, wie das neue Leistungsweisen funktioniert, muss das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung mit und ohne Leistungsverweigerungsrecht verglichen werden.
Dies gilt grundsätzlich
Bei vertraglichen Schuldverhältnisse ist zwischen Leistung und Gegenleistung zu unterscheiden. Das Leistungsverweigerungsrecht setzt bei der Verpflichtung zur Erbringung der Gegenleistung, also der Zahlungspflicht, an.
Kann oder will ein Schuldner nicht zahlen, dann wird er regelmäßig durch eine Mahnung, soweit eine solche nicht ausnahmsweise entbehrlich ist, in Verzug gesetzt. Der Schuldner ist dann in einem ersten Schritt zum Ersatz des Verzögerungsschadens verpflichtet, § 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 BGB. Ab Verzugseintritt schuldet also beispielsweise der Schuldner nicht nur Verzugszinsen, sondern auch Kosten die für eine außergerichtliche Tätigkeit eines mit dem Forderungseinzug beauftragten Rechtsanwalts anfallen.
Nach der Konzeption des BGB ist es grundsätzlich so, dass es dabei unerheblich ist, aus welchem Grund der Schuldner nicht leistet, also ob er nicht kann oder nicht will. Es spielt auch keine Rolle, ob eine mangelnde Leistungsfähigkeit verschuldet oder unverschuldet ist, denn wie eingangs erwähnt gilt der Grundsatz „Geld hat man zu haben“, also dass jeder für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat.
Das gilt (ausnahmsweise) zunächst vom 01.04 bis zum 30.06.2020
Das jetzt neue geschaffene Leistungsverweigerungsrecht hat zur Folge, dass der Schuldner die Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs verhindern und somit dem Entstehen von Sekundäransprüchen vorbeugen kann. Es handelt sich rechtstechnisch um eine sog. rechtshemmende Einwendung, die der Schuldner einredeweise geltend machen muss. Der Schuldner kann damit auch eine Kündigung des Vertrags abwenden.
Schuldnerschutz ist eine „Mogelpackung“
Aber Vorsicht. Aus Sicht der Schuldner ist der Schuldnerschutz bei richtiger Betrachtung eine „Mogelpackung“, die nur vorübergehend, nicht aber dauerhaft hilft. Dies deshalb, weil die Leistungspflichten nämlich nicht erlöschen, sondern nur hinausgeschoben werden und zwar augenblicklich bis zum 30.06.2020 und bei einer Verlängerung bis zum 30.09.2020. Dies bedeutet, dass nach Ablauf dieser Daten Schuldner, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, dann nicht nur die laufenden Verbindlichkeiten bedienen müssen, sondern zusätzlich mit den auf gesammelten Verbindlichkeiten aus dem Corona-Schutz-Gesetz konfrontiert werden. Nach Ansicht des Verfassers erscheint es aber realitätsfremd, dass Schuldner, die sich bereits unmittelbar nach Eintritt der Coronakrise auf diese Schutzmöglichkeit berufen müssen, weil ihnen die erforderliche finanzielle Leistungsfähigkeit fehlt, mit auslaufen des Schutzes in der Lage sein sollen, zu den laufende Verbindlichkeiten auch noch das nachzubezahlen, was in 3 oder 6 Monaten vorher aufgelaufen ist.
Für welche Verträge gilt das Leistungsverweigerungsrecht
Die neuen Regelungen über das Leistungsverwaltungsrecht bedeuten aber nicht, dass Schuldner, die aufgrund der Coronakrise finanziell klamm sind, berechtigt wären, Leistungen auf jegliche Zahlungsverpflichtungen zu verweigern. Erfasst werden nur wesentliche Dauerschuldverhältnisse.
Der Gesetzgeber versteht unter „wesentliche Dauerschuldverhältnisse solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessen Daseinsvorsorge förderlich sind, wie beispielsweise Verträge über Telekommunikation, Lieferverträge für Strom und Gas etc..
Für andere Verträge, beispielsweise das Abo eines Streamingsdienstes oder aber das Fitnessstudio gelten die Regelungen nicht. Ebenso wenig gelten die Regelungen für Einzelverträge, also Handwerkerrechnungen oder Honorare von Anwälten und Steuerberatern. Die Regelungen gelten auch nicht für Miet- und Pachtverhältnisse, denn dafür gibt es in Art. 240 § 2 EGBGB Sonderregelungen.
Was sonst noch zu beachten ist
Es gibt auch eine Reihe von Ausnahmen, wann das Leistungsverweigerungsrecht nicht gilt.
Stichtag 08.03.2020
Das Leistungsverweigerungsrecht gilt nur für solche wesentlichen Dauerschuldverhältnisse, die bereits vor der Coronakrise bestanden haben. Der Gesetzgeber hat den Stichtag dafür auf den 08.03.2020 festgesetzt.
Ursächlichkeit erforderlich
Auch hier gilt das Leistungsverweigerungsrecht nur dann, wenn eine Kausalität (Ursächlichkeit) zwischen der Leistungsunfähigkeit und dem Coronavirus besteht. Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers dann der Fall sein, wenn ein Verbraucher die Leistung nicht mehr erbringen kann, ohne dass dabei der angemessen Lebensunterhalt von ihm selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht mehr möglich wäre. Bei der Frage, was der Gesetzgeber unter „angemessenem Lebensunterhalt „zu versteht, handelt es sich zunächst rechtstechnisch um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser muss also im Streitfall vom Gericht anhand des Parteivortrags ausgelegt werden. Dies kann in der Praxis dazu führen, dass Verbraucher detailliert die Einzelheiten ihrer privaten Lebensführung preisgeben müssen.
Bei Kleinstunternehmen wiederum ist von einer Ursächlichkeit dann auszugehen, wenn Leistungen von dem Unternehmen nicht erbracht werden können, ohne die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs zu gefährden. Auch hier müsste wohl im Streitfall derjenige Schuldner, der sich auf das Leistungsverwaltungsrecht beruft, und der deshalb die Darlegungs- und Beweislast trägt, die Finanzstruktur seines Unternehmens offenlegen.
Gesetzlich geregelte Ausnahme vom Leistungsverweigerungsrecht
Darüber hinaus regelt Art. 240 § 1 Abs. 3 EGBGB noch wann das Leistungsverweigerungsrecht in bestimmten Situationen ausgeschlossen ist. Dies soll nämlich dann der Fall sein, wenn der vorübergehende Leistungsverzicht des Gläubigers genauso unzumutbar sein soll, wie die Erbringung der Leistungen für den Schuldner. Würde also die Ausübung des Leistungsverwaltungsrecht den Lebensunterhalt oder das Unternehmen des Leistungserbringers gefährden, dann könnte sich der Schuldner hierauf nicht wirksam berufen. Im Streitfall müssten dann wohl Gerichte die wechselseitigen Interessen gegeneinander abwägen. Aufgrund der kurzen Geltungsdauer der Regelungen einerseits und der deutlich längeren Laufzeiten eines Rechtsstreits bei Gericht andererseits, dürfte aber diese Regelung in der Praxis weitgehend leerlaufen.
Fazit:
Ein Schnellschuss aus der Hüfte, mit vielen Fallstricken, der zu großer Rechtsunsicherheit führt und im Zweifel nicht wirklich hilft, weil die Probleme der notleidenden Schuldner nicht behoben, sondern nur um einige Monate nach hinten verschoben werden. Gut gemeint, aber schlecht umgesetzt und damit ein Indiz für Panik und Planlosigkeit. Eine Regelung, die nach mehr scheint, als sie wirklich ist.