Kinder und Jugendliche sind die Hauptleidtragenden nicht nur der Pandemie, sondern vor allen Dingen des staatlichen Politikversagens, das seit nunmehr mehr als einem Jahr das Leben der jüngsten Generation nicht nur beeinträchtigt, sondern in vielfältiger Weise deren psychische und körperliche Gesundheit gefährdet. Eine aktuelle Entscheidung des OVG Bremen vom 20.04.2021 (1 B 178/21) lässt Eltern von Grundschülern, die eine Maskenpflicht für ihre Kinder für unzumutbar halten aufhorchen, denn dort haben die Richter im Rahmen eines Eilantrags im Zusammenhang mit einer Normenkontrolle die entsprechende Regelung aus der 24. Coronaverordnung der Stadt Bremen vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Eingriffe in die Grundrechte der Kinder sind zwar grundsätzlich hinzunehmen…
Die Richter haben zwar darauf hingewiesen, dass Ihrer Auffassung nach die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch für Grundschüler grundsätzlich eine verhältnismäßige Maßnahme darstelle, um das Infektionsgeschehen im Schulbetrieb zu reduzieren und zu kontrollieren. Weiter haben die Richter klargestellt, dass es sich bei dieser Verpflichtung nicht um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelt, sondern lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen werde.
… es fehlt der Verordnung aber an der hinreichenden Bestimmtheit
Die Regelung ist dann aber daran gescheitert, dass § 17 Abs. 5 S. 4 der 24. Coronaverordnung der Stadt Bremen inhaltlich zu unbestimmt sei. Die Regelung hat die Pflicht zum Tragen einer Maske nämlich davon abhängig gemacht, dass in Bremen oder Bremerhaven laut Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts eine Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus von 100 pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen (Inzidenzwert) überschritten wird „und sich dies nicht auf ein oder mehrere Ausbruchsgeschehen außerhalb von Schulen zurückführen lässt“. Für betroffene Grundschüler und Grundschülerinnen und deren Eltern sei, so die Richter, nicht feststellbar, wann diese Voraussetzung gegeben sei. Dies lasse sich auch durch Auslegung nicht ermitteln, weil belastbare Daten hierzu von öffentlicher Stelle nicht veröffentlicht worden wären.
Anmerkung:
Verfahren gewonnen in der Sache aber doch verloren,…
…so könnte man die Entscheidung der Richter interpretieren. Diese haben nämlich nicht die Verordnung per se gekippt, sondern nur ihre Entscheidung an der Frage der Bestimmtheit festgemacht, so dass es für die Verwaltung ein Leichtes ist, diese Regelung kurzfristig „nachzubessern“, so dass die vorübergehend außer Vollzug gesetzt Maskenpflicht, die allgemeinverbindlich ist, also für alle Grundschüler und Grundschülerinnen in Bremen gilt, dann wieder postwendend eingeführt werden kann.
Inzidenzwert kein geeigneter Maßstab um Einschränkungen zu rechtfertigen
Das, was die Verordnung zu Fall gebracht hat, ist an sich die richtige und gut gemeinte ansatzweise, dass es nicht allein auf den Inzidenzwerte ankommen könne, sondern danach differenziert werden müsse, wie sich dieser bestimmt, nämlich dass die Maskenpflicht dann nicht gelten solle, wenn der Inzidenzwert schwerpunktmäßig auf sog. Hotspots, beispielsweise Ausbrüche in Altenheimen, fleischverarbeitenden Betrieben oder Asylbewerberunterkünften zurückzuführen sei. Juristisch wird es jetzt spannend, denn wenn nun eine Regelung getroffen wird, die ausschließlich auf den Inzidenzwerte gleichgültig welche Zahl man zugrunde legt, sei es 100, 165 oder 200, dann ließe sich die Argumentation umdrehen und mit der Frage der Verhältnismäßigkeit argumentieren. Diese Zahlen sagen alle nichts über das regionale Infektionsgeschehen aus, wenn in der Stadt oder dem Landkreis ein oder mehrere Hotspots vorhanden sind. Bricht beispielsweise irgendwo in einer Asylbewerberunterkunft in einem Stadtteil Corona aus und infizieren sich dort gleichzeitig viele Menschen, dann steigt der Inzidenzwert zwangsläufig. Weswegen dann in Gegenden, die mit dem Hotspot nichts zu tun haben, Einschränkungen stattfinden, ist oft kaum nachvollziehbar und deshalb stets zweifelhaft, ob dann tatsächlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Hinzu kommt, dass die Inzidenzwerte zum einen nichts über Krankheitsverläufe aussagen, denn nicht jeder, der infiziert ist, ist überhaupt oder nur ansatzweise schwer krank. Im Übrigen kann der Inzidenzwert auch bewusst durch die Häufigkeit der Testungen „gesteuert“ werden. Dies wird immer besonders schön an Feiertagen deutlich, wenn dann automatisch der Inzidenzwert sinkt und darauf hingewiesen wird, dass wegen Feiertag oder Wochenende weniger getestet worden ist. Wird also die Testpflicht, wie augenblicklich, landauf und landab weiter ausgeweitet, dann hat dies zwangsläufig zur Folge, dass die Inzidenzwerte steigen. Deswegen sind Inzidenzwerte stets eine „Mogelpackung“, denn ein Inzidenzwerte aus dem April 2020 ist wegen des veränderten Testverhaltens nicht mehr mit einem Inzidenzwerte aus dem April 2021 vergleichbar.
OVG hat gleichzeitig Verhältnismäßigkeit einer Testpflicht bestätigt
Der gleiche Senat hat übrigens noch am gleichen Tag in einem anderen Verfahren (1 B 180/21) entschieden, dass eine Regelung, wonach das Betreten des Schulgeländes von einem negativen Testergebnis abhängig gemacht werde rechtlich nicht zu beanstanden sei. Damit verbundene Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der Kinder oder in deren Recht auf Bildung, seien im Interesse der Allgemeinheit hinzunehmen … Nachdem es in Deutschland rund 83.000.000 Einwohner gibt, sodass die Zahl der schwer Erkrankten bei lediglich 0,03 % liegt, wovon wiederum ein hoher Prozentsatz einem bestimmten Milieu zuordenbar ist, wäre es nach Auffassung des Verfassers durchaus juristisch diskutierbar, ob körperliche und psychische Erkrankungen von Kinder und Jugendlichen, von denen derzeit zahlreiche Kinder- und Jugendärzte (politisch ungehört) warnen, sowie die Bildung einer ganzen Generation so ohne weiteres stets dem Belangen des Infektionsschutzes geopfert werden darf. Im Grundgesetz jedenfalls ist kein „Supergrundrecht“ auf Leben und Gesundheit, das alle anderen Grundrechte überwiegen würde, verankert. Stattdessen handelt es sich bei den Grundrechten um ein Wertesystem, wonach Grundrechte stets gegeneinander und untereinander abgewogen werden müssen, um angemessen Entscheidungen zu treffen. Nachdem der Mensch ein soziales Wesen ist, könnte mit fortschreitenden Isolationsmaßnahmen der Kinder auch darüber diskutiert werden, ob nicht gerade die Menschenwürde, die im Grundrechtssystem sozusagen vor die Klammer gezogen ist, überhaupt Maßnahmen, die die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachweislich gefährden, gestattet. Deshalb ist hier, wie auch bei vielen anderen Gerichtsentscheidungen, die Grundrechtsabwägung nach dem Verständnis des Verfassers eher „dünn“ und sehr einseitig „staatstragend“. Eine Perspektive, wann sich für die Kinder wieder etwas zum Positiven ändern soll, wird nämlich derzeit, aufgrund von ständig zu erwartenden Mutationen auch durch die schleppend laufenden Impfungen, geboten. Diese dürften nämlich schon wieder zum Großteil überholt sein bis überhaupt genügend Menschen in Deutschland geimpft worden sind, um die oft gepriesene „Herdenimmunität“ zu erreichen oder haben Sie schon einmal etwas von einer Herdenimmunität gegen den Grippevirus gehört?