Auch Ungeimpfte dürfen ab sofort wieder in Bayern uneingeschränkt im Einzelhandel einkaufen. Möglich ist dies deshalb, weil die Richter am BayVGH nunmehr mit Beschluss vom 19.01.2022 (20 NE 21.3119) die entsprechenden Regelungen in der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, wonach Zugang zu Ladengeschäften des Einzelhandels grundsätzlich nur Genesenen und Geimpften gewährt werden darf, vorläufig außer Vollzug gesetzt haben. Begründet haben die Richter dies nun damit, dass die Bayerische Staatsregierung bei der Formulierung ihrer Verordnung „geschlampt“ hat, weil gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoßen wurde. Stein des Anstoßes war die Formulierung „Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs“, für die neben einer beispielhaften Aufzählung von Ausnahmetatbeständen, die Regelung, die Ungeimpfte vom Einkauf ausschließt, nicht gelten sollte. Die Reichweite der Ausnahmeregelung müsse sich, so (jetzt) die Richter, aus der Verordnung selbst ergeben und dürfe nicht auf die Ebene des Normenvollzugs und dessen gerichtlicher Kontrolle verlagert werden. Der Verordnung lasse sich, da die Ausnahmetatbestände nicht abschließend aufgezählt seien und auch sog. Mischsortimente uneinheitlich behandelt würden, nicht mit hinreichender Gewissheit entnehmen, welche Ladengeschäfte von den Zugangsbeschränkungen erfasst würden. Die Entscheidung fiel im Rahmen einer Normenkontrolle, die von einer Lampenhändlerin eingereicht worden war.
Die Richter ließen es sich dabei nicht nehmen klarzustellen, dass nach ihrer (derzeitigen) Auffassung eine 2G-Regel im Einzelhandel im Infektionsschutzgesetz eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage finden würde und auch die Voraussetzungen hierfür grundsätzlich erfüllt seien.
Kommentar
Im Ergebnis ist die Entscheidung richtig. Aus Sicht der Betroffenen Bürger und Einzelhändler aber gleichwohl unbefriedigend.
Ein Gericht, eine Verordnung, 4 Entscheidungen
Dass die Regelung nicht hinreichend bestimmt, also unklar ist, hatte der BayVGH, der bereits im Dezember mehrfach mit der 2 G-Regelung in der 15. Bayerischen Infektionsschutzverordnung befasst war, bereits anderweitig festgestellt, und am 29.12.2021 einen ein Antrag eines Bekleidungsunternehmens (20 NE 21.3037) als unzulässig zurückgewiesen, mit der Argumentation, dass Bekleidungsgeschäfte zum täglichen Bedarf zählen würden, also von der Verbotsregelungen gar nicht erfasst sein, so dass es an einer Antragsbefugnis fehlen würde. Hier hatten also die Richter zunächst die Auffassung vertreten, dass obwohl Bekleidungsgeschäfte nicht ausdrücklich in der Aufzählung derjenigen Einzelhandelsunternehmen, die nicht unter das Verbot fallen, genannt worden sind, evident nicht erfasst würden. Folge daraus war nicht nur, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits das Weihnachtsgeschäft für Bekleidungsgeschäfte gelaufen war, sondern dass das Verfahren führende Unternehmen auch noch zusätzlich mit den Verfahrenskosten belastet wurde und dies nur deshalb, weil die Regelung so formuliert ist, dass man, wie nahezu alle Bekleidungshändler, der Meinung sein konnte, dass Ungeimpften kein Zugang zum Ladengeschäft gewährt werden dürfte. Die Media Markt-Saturn Gruppe hatte daraufhin für sich die Konsequenz gezogen, Ungeimpften wieder Zugang zu den Märkten zu gewähren und dabei ausdrücklich verlauten lassen, dass man explizit darauf verzichten würde, die Frage einer gerichtlichen Klärung zuzuführen.
Bereits kurz vor Weihnachten, am 20.12.2021, hatte der bei VGH (20 NE. 21.3012) klargestellt, dass der Spielwarenhandel in Bayern nicht vom Verbot der 2G-Regelung erfasst werde, sondern ähnlich wie Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, aber auch Baumärkte, dem täglichen Bedarf dienen würden.
Noch am 08.12.2021 hatte der BayVGH (20 NE 21.2821) den Eilantrag von zwei Bürgern gegen die 2G-Regelung zurückgewiesen, und diese (obwohl die Unbestimmtheit der Regelung von Anfang an immanent war) als voraussichtlich rechtmäßig eingestuft.
Ein Gericht, eine Rechtsverordnung auf dem Prüfstand, 4 Verfahren und 4 teilweise recht unterschiedliche Ergebnisse für die jeweiligen Antragsteller?
Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs kaum mehr prognostizierbar
Einer Rechtsberatung zu den Erfolgsaussichten des Verfahrens wird hierdurch jegliche Grundlage entzogen. Dies erst recht, wenn man berücksichtigt, dass das OVG Lüneburg für das Land Niedersachsen bereits mit Beschluss vom 06.12.2021 (13 MN 477/21) eine vergleichbare Regelung als nicht notwendig und mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren eingestuft hat. Der Gang zu Gericht wird zum reinen Glücksspiel. Das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat leidet , wenn die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs nicht mehr ansatzweise prognostiziert werden können. Dies erst recht, da Entscheidungen des VGH – im Gegensatz zu Urteilen der Verwaltungsgerichte – nicht nur zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien, sondern mit allgemeinverbindlicher Wirkung gelten. Der Wortlaut der Vorschrift hat sich nicht geändert. Bereits als der VGH sich zum ersten Mal am 8. Dezember mit der 2G-Regelung befasst hatte, war der Wortlaut der Vorschrift hinsichtlich der Ausnahmetatbestände offen formuliert. Es wäre daher müßig zu diskutieren, ob die Richter dies nicht erkannt haben oder nicht erkennen wollten, weil Sinn und Zweck der 2G-Regelung, jedenfalls bei richtiger Betrachtung, weniger Infektionsschutz ist, sondern der Förderung der Impfbereitschaft dienen soll, indem Ungeimpften reglementiert und weitgehend vom Sozialleben ausgeschlossen werden. Dies ist in einem Land, dass an exponierter Stelle in seiner Verfassung geregelt hat, dass die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden (Art. 1 Abs. 3 GG) und alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 Abs. 1 GG) und niemand wegen seiner Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Art. 3 Abs. 3 GG) nicht nur bedenklich, sondern beängstigend. Nachdem die nun außer Vollzug gesetzt der Vorschrift ohnehin am 09.02.2022 außer Kraft getreten wäre, ist die Wirkung der Entscheidung für den Einzelhandel überschaubar. Dies erst recht, nachdem die Richter dem Verordnungsgeber er aufgezeigt haben, wie es künftig richtig machen muss, nämlich Ausnahmetatbestände nicht offen, sondern abschließend zu formulieren. Soll also die 2G-Regelung weiter Bestand haben, dann ist damit zu rechnen, dass in der dann anschließenden Folgeverordnung eine Aufzählung aller Geschäftsbereiche erfolgen wird, für die die 2G-Regelung nicht gelten soll. Dann kann erneut darüber diskutiert werden, ob eine solche Regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren ist, wie dies die Richter aus Niedersachsen angenommen hatten, oder aber die damit einhergehende Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt wäre, wie dies nun die Richter am VGH ja neuerlich, ihre ursprüngliche Entscheidung vom 8. Dezember inhaltlich bestätigen, am Rande erwähnt haben.
Ergänzung:
Mit Beschluss vom 21. 01.2022 (2 B 295/21) hat zwischenzeitlich auch das OVG des Saarlandes die Zutrittsbeschränkungen zu Einzelhandelsgeschäften nach der 2G Regelung auf Antrag eines Fachmarkts für Elektronikartikel im Saarland vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Richter haben ähnlich wie bei begründet, dass die beispielhaft der Aufzählung von Ladengeschäften und Einrichtungen sowie die amtlichen Ausführungen in der Begründung der Regelung den Schluss zuließen, dass der Begriff der Deckung des täglichen Bedarfs nicht alleiniges Abgrenzungsmerkmal für die Befreiung von der Zutrittsbeschränkung sei. Die Regelung würde daher, so die Richter, gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Normenklarheit verstoßen. Es bleibe unklar, nach welchen konkreten Kriterien sonstige Einzelhandelsbetriebe, die ebenfalls nicht Grundbedarfs decken sind, von der Ausnahmeregelung erfasst werden sollen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte anstelle des Verordnungsgebers eigene Vorgaben festzulegen, die in der angegriffenen Regelung selbst keinen Ursprung haben.
Mit Beschluss vom 25.01. 2022 (1 S 89/22) hat der VGH BW § 17 Abs. 1 CoronaVO insoweit außer Vollzug gesetzt, als die Vorschrift Geltung für die „eingefrorene Alarmstufe II“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaVO beansprucht. Das „Einfrieren der Alarmstufe II“ sei – wie der Senat21.01.2022 bereits für Studierende entschieden habe – voraussichtlich rechtswidrig. Eine Vorschrift, die ausdrücklich „unabhängig“ von der 7-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz weitreichende Zugangsbeschränkungen für nicht-immunisierte Personen normiere, stehe – so die Richter – mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 28a Abs. 3 Satz 3 IfSG nicht in Einklang. Erhebliche Grundrechtsbeschränkungen könnten nicht abgekoppelt von der 7-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz angeordnet werden. Die Beschränkung des Zugangs zum Einzelhandel sei keine Maßnahme des präventiven Infektionsschutzes nach § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG. Der Gesetzgeber sei ausdrücklich davon ausgegangen, dass zu den Maßnahmen des präventiven Infektionsschutzes nach § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG nur „niederschwellige“ Maßnahmen gehörten.