China ist weit, dachte sich mancher, als dort die ersten Fälle des Coronavirus bekannt wurden. Mit Interesse wurde dann verfolgt, mit welchen Anstrengungen, um eine Epidemie oder gar eine Pandemie zu vermeiden, von der chinesischen Staatsregierung quasi über Nacht ganze Millionenstädte abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt worden sind. Seit der Coronavirus unaufhaltsam näher kommt und erste Berichte über Infektionen in Deutschland, aber insbesondere beim Nachbarn in Norditalien bekannt geworden sind, hat sich die bislang abstrakte Gefahr zum Greifen nah konkretisiert. Viele stellen sich nun die Frage, ob in einer Demokratie wie Deutschland, in der die Grundrechte des Einzelnen großgeschrieben werden, überhaupt die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden können, um eine explosionsartige Ausbreitung in ganz Deutschland zu verhindern. Dass Millionenstädte wie Berlin, Hamburg oder München über Nacht unter Quarantäne gestellt werden, erscheint vielen Menschen nicht nur undenkbar, sondern auch beängstigend. Schwarzmaler glauben gar, dass eine Diktatur seine Bürger besser schützen kann, als dies in einer Demokratie der Fall ist. Aber keine Sorge. Der Gesetzgeber hat auch in Deutschland bereits den Behörden mit dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein scharfes Schwert zur Bekämpfung und Verhütung ansteckender Krankheiten an die Hand gegeben. Wir erklären Ihnen, was die Behörden dürfen und wie es dabei um die Rechte des Einzelnen steht.
Zuständigkeit liegt nicht beim Bund, sondern bei Ländern und Kommunen
Für viele dürften überraschend sein, dass die Zuständigkeit zur Bekämpfung von Epidemien in Deutschland nicht etwa beim Bund, sondern stattdessen auf lokaler Ebene bei den Ländern und Kommunen, respektive den örtlichen Gesundheitsämtern, angesiedelt ist. Dies ist dem in Deutschland geltenden Föderalismus, also dem Länderprinzip, geschuldet. Auf Bundesebene gibt es nur eine Zusammenarbeit über den zwischenzeitlich gebildeten Krisenstab. Das Robert Koch-Institut in Berlin, als Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (RKI), ist dagegen die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und- prävention. Dieses berät wiederum insbesondere das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und arbeitet auch mit Ländern und Kommunen zusammen.
Coronavirus zählt zu den meldepflichtigen Krankheiten
Erst Ende Januar wurde geregelt, dass es sich bei einer Infektion mit dem Coronavirus um eine meldepflichtige Krankheit handelt. Dies hat zur Folge, dass sowohl Ärzte den Gesundheitsämtern Verdachtsfälle melden und Laboruntersuchungen veranlassen müssen. Labore wiederum müssen dann die Gesundheitsämter informieren.
Einschränkungen der Grundrechte sind durch die §§ 24 ff. IfSG bereits ab einem Krankheitsverdacht oder Ansteckungsverdacht möglich
Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, wie jetzt des Coronavirus, sind in den §§ 24 ff. IfSG geregelt. Wenn Sie erkrankt sind oder aufgrund Kontakts mit Infizierten der Verdacht einer Erkrankung besteht, dann werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit – aus rechtlicher Sicht – nach den § 28 ff. IfSG behandelt.
Generalklausel ermöglicht umfangreiche Schutzmaßnahmen
Bereits im § 28 Abs. 1 IfSG ist nämlich im Wege einer Generalklausel geregelt, dass dann wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Beispielhaft wird dann auf § 29 IfSG (Beobachtung), § 30 IfSG (Quarantäne) und § 31 IfSG (berufliches Tätigkeitsverbot) verwiesen.
Verbot von Veranstaltungen und Ansammlungen, das Schließen von Badeanstalten und Gemeinschaftseinrichtungen sowie Platzverweise möglich
In § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG sind dann weitere Maßnahmen geregelt, die die zuständige Behörde treffen kann, nämlich Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten, Badeanstalten oder Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen, Personen verpflichten den Ort an dem sie sich befinden nicht zu verlassen oder bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.
Untersuchungen müssten geduldet und Zutritt zur Wohnung gestattet werden
Eine Heilbehandlung selbst darf dagegen die Behörde nicht anordnen. Gleichwohl müssen nach § 29 Abs. 2 IfSG für Personen, die unter Beobachtung gestellt werden, Untersuchungen durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes geduldet und den Anordnungen des Gesundheitsamtes Folge geleistet werden. Der Betroffene ist nicht nur verpflichtet Beauftragten des Gesundheitsamtes zum Zwecke der Befragung oder der Untersuchung Zutritt zu seiner Wohnung zu gestatten, sondern auch alle seinen Gesundheitszustand betreffen Umstände Auskunft zu erteilen
Da die vorgenannten Maßnahmen allesamt mit einem Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen verbunden sind, wird dann konsequent in § 28 Abs. 1 S. 3 IfSG sowie § 29 Abs. 2 S. 3 IfSG geregelt, dass die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden.
Umfangreiche Regelung zur Anordnung einer Quarantäne sowie deren zwangsweiser Durchsetzung
In § 30 IfSG gibt es dann nicht nur dezidierte Regelungen, in welchen Fällen und wie die von vielen gefürchtete Quarantäne angeordnet werden kann, sondern dort ist auch gleich noch weiter geregelt, dass dann, wenn der Betroffene den Anordnungen nicht Folge geleistet oder aufgrund seines bisherigen Verhaltens anzunehmen ist, dass er solchen Anordnungen nicht Folge leisten wird, zwangsweise in einer geschlossenen Abteilung untergebracht werden kann. In diesem Fall können dem Betroffenen dann auch Gegenstände, die unmittelbar oder mittelbar dazu geeignet sind, eine Flucht zu ermöglichen, abgenommen werden. Auch das Briefgeheimnis (Art. 10 GG) wird eingeschränkt indem eingehende und ausgehende Post im Beisein des Betroffenen geöffnet und zurückgehalten werden kann. Dies gilt allerdings nicht für die Korrespondenz beispielsweise mit einem Rechtsanwalt oder einem Seelsorger.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten
Wie stets, wenn der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreift, ist aber auch hier, Coronavirus hin oder her (theoretisch) der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser verlangt, dass jede Maßnahme, die Grundrechte eingreift, einen legitimen öffentlichen Zweck verfolgt und überdies geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn, also angemessen, ist. Letzteres bedeutet, dass die mit der Maßnahme verbundenen Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die die Maßnahme bewirkt. Hier hat also eine Abwägung der wechselseitigen Interessen stattzufinden. Wobei Rahmen der Abwägung wiederum zugunsten des Bürgers dessen Grundrechte zu berücksichtigen sind.
Anmerkung:
Recht zu haben und Recht zu bekommen ist bekanntlich zweierlei. Gleichwohl sollte jeder einzelne, auch wenn er der Meinung ist, recht zu haben, aufgrund der bestehenden Ausnahmesituation gut überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, auf das Recht in einer Ausnahmesituation auch zu pochen, wenn dadurch vielleicht die eigene Gesundheit oder die andere gefährdet wird. Mit einer sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage stellt nämlich der Gesetzgeber dem Bürger einen Rechtsbehelf zur Verfügung, mit dem er auch im Nachhinein, wenn es darum geht, recht zu haben, feststellen lassen kann, dass eine behördliche Maßnahme rechtswidrig gewesen ist.
Also in diesem Sinne. Bleiben Sie gesund.