Wird ein Verbraucher nicht korrekt über sein ihm gesetzlich zustehendes Widerrufsrecht belehrt, dann kann dies nicht nur für das Unternehmen wettbewerbsrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch richtig teuer werden, wie ein nun vom OLG München gegen den Autovermieter Sixt am 18.06.2020 erlassenes Urteil (32 U 7119/19) verdeutlicht. Wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung waren die Richter zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kilometer-Leasingvertrag der bereits im März 2017 abgeschlossen worden war auch noch im Juli 2018, zu diesem Zeitpunkt hatte der Leasingnehmer bereits rund 40.000 km mit dem geleasten Fahrzeug zurückgelegt, wirksam widerrufen werden konnte mit der Folge, dass Sixt nicht nur knapp 17.000 € an Leasingraten zuzüglich Zinsen zurückzahlen muss, sondern der Leasingnehmer für die Nutzung des Fahrzeugs auch keinen Wertersatz schuldet.
Streit über Widerruf eines Privat-Leasingvertrags mit Kilometerabrechnung
Der Kläger hat im März 2017 mit dem Autovermieter Sixt einen Leasingvertrag mit Kilometer-Abrechnung im Internet, also unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, abgeschlossen. Die monatliche Leasingrate betrug dabei, bei einer Laufleistung von 48 Monaten 468,53 €.
Am 09.07.2018, zu dieser Zeit war er bereits rund 40.000 km mit dem geleasten Fahrzeug gefahren, erklärte der Kläger den Widerruf des Leasingvertrags. Er vertrat dabei die Auffassung, dass mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ihm ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zur Verfügung stünde.
Im Einzelnen hatte der Kläger folgende Fehler bei seiner Belehrung als Verbraucher gerügt:
- Art der entgeltlichen Finanzierungshilfe (Art. 247 § 12 Abs. EGBGB Artikel 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 6 Absatz 1 Nummer 1, § 3 Absatz 1 Nummer 2 EGBGB):
Die Angabe „Verbraucher Kilometerleasingvertrag“ finde sich nur in der vorvertraglichen Information, nicht aber im Leasingvertrag.
- Art und Weise der Anpassung des Verzugszinssatzes (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 6 Absatz 1 Nummer 1, § 3 Absatz 1 Nummer 11 EGBGB):
Es sei die Angabe einer absoluten Zahl für die Bestimmung des Zinssatzes notwendig.
- Einzuhaltendes Verfahren bei der Kündigung des Vertrags (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 6 Absatz 1 Nummer 5 EGBGB):
Die Unterlagen enthalten keinen Hinweis auf ein Kündigungsrecht nach § 314 BGB. Es fehle an einem Hinweis, dass die Kündigung erst mit Zugang wirksam werde und bestimmte Formerfordernisse erfüllen müsse.
- Modalitäten der Rückabwicklung des Vertrags bei Widerruf (Art. 247 § 6 Absatz 2 S. 1, 2, § 12 Absatz 2 Nummer 2 b EGBGB):
Die Belehrung sei nicht umfassend, unmissverständlich, eindeutig und aus sich heraus verständlich. Dies betreffe das Widerrufsrecht als solches, da einerseits von einer Bindung des Leasingnehmers an seinen Antrag von sechs Wochen und andrerseits von einem Widerrufsrecht von zwei Wochen die Rede sei. Ein Rückgriff auf die Gesetzlichkeitsfiktion scheide aus, da die Beklagte nicht das gesetzliche Muster 7 verwendet habe.
- Zugangsvoraussetzungen zu außergerichtlichem Beschwerdeverfahren (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 7 Absatz 1 Nummer 4 EGBGB):
Die Voraussetzungen seien nicht ausreichend dargestellt worden.
- Hinweis auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 3 Absatz 1 Nummer 13 EGBGB).
Es fehle an einem klaren ja oder nein. Die Europäischen Standardinformationen seien nicht Vertragsbestandteil geworden.
- Hinweis auf die Wertersatzpflicht bei Rückabwicklung (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 6 Absatz 2 EGBGB):
Der Hinweis sei falsch, da § BGB § 357 Abs. 7 BGB a.F. nicht anwendbar sei. Eine Berufung auf die Gesetzlichkeitsfiktion komme nicht in Betracht, da die Angabe in dem Gestaltungshinweis nur eine Kann-Belehrung darstelle.
- Hinweis auf anfallende Kosten bei Widerruf (Art. 247 § 12 Absatz 1 S. 1, § 6 Absatz 2 S. 2 EGBGB):
Statt dem Zinsbetrag sei die tägliche Leasingrate anzugeben.
Der beklagte Autovermieter hat sich zunächst damit verteidigt, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht gar nicht bestehen würde, weil § 506 BGB auf Leasingverträge mit Kilometer Abrechnung nicht anwendbar sei. Im Übrigen wird die Widerrufsinformationen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Auch seien die erforderlichen Pflichtangaben erteilt worden. Die Vorgehensweise des Klägers sei auch rechtsmissbräuchlich und darüber hinaus seien etwaige Ansprüche verwirkt. Jedenfalls aber bestünde ein Wertersatzanspruch für die Nutzung des Fahrzeugs in Höhe von mindestens 13.690 € (25 % des Fahrzeugpreises nach § 357 Abs. 8, 357 a Abs. 2 S. 2 BGB.
Das zuvor mit der Klage befasste Landgericht München I hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass dem Kläger kein Widerrufsrecht zusteht, aber jedenfalls ein solches bereits erloschen sei.
OLG München nimmt Widerrufsrecht nach den Regeln des Fernabsatzgesetzes an
Nachdem bekanntlich zwei Juristen drei unterschiedliche Meinungen haben können, war die Berufung erfolgreich.
Zwar haben die Richter auch im Berufungsverfahren ein Verbraucher kreditrechtliches Widerrufsrecht nach § 506 Abs. 1,2, 495, 355 BGB abgelehnt. Sie sind dann aber zum Ergebnis gelangt, dass dem Kläger nach den Regeln des Fernabsatzvertrages gemäß § 312 c, 312 g Abs. 1, 355 BGB ein Widerrufsrecht zustünde.
Das Widerrufsrecht sei auch nicht nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB, der ein Erlöschen 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss vorsieht verfristet, weil es sich um einen Vertrag über Finanzdienstleistungen nach § 356 Abs. 3 S. 3 BGB handelt, sodass die vorgenannte Regelung nicht zur Anwendung komme.
„Bei dem Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung handelt es sich um eine Form des Finanzierungsleasings (Staudinger/Stoffels (2018) Leasing Rn. 37). Finanzierungsleasingverträge werden trotz ihrer wesensmäßigen Verwandtschaft mit der Miete als Finanzdienstleistungen qualifiziert. Das wird dadurch gerechtfertigt, dass die Leistung des Leasinggebers hier nahezu ausschließlich in der Vorfinanzierung liegt und keinerlei sachliche Nähe zum Leasinggegenstand voraussetzt, den sich der Leasingnehmer regelmäßig allein nach seinen Bedürfnissen aussucht.“
Weiter haben die Richter ausgeführt, dass der Kläger auch keinen Wertersatz und keine Nutzungsentschädigung schulden würde.
„Nach der für Finanzdienstleistungen geltenden Sondervorschrift des § § 357 a Abs. 2 S. 1 BGB setzt die Zahlung von Wertersatz voraus, dass der Verbraucher vor Abgabe der Vertragserklärung auf die Wertersatzpflicht hingewiesen wurde und er nach diesem Hinweis ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Derartige Erklärungen enthält der Vertragstext nicht.
Im Übrigen kommen die in § 357 a Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 4 BGB enthaltenen Verweisungen auf die Vorschriften des § § 357 Abs. 5 bis 8 BGB nicht zur Geltung, da diese eine entgeltliche Finanzierungshilfe im Sinne des § 506 BGB voraussetzen, die gerade nicht vorliegt. Weitergehende Ansprüche aus der Rückabwicklung des Vertrages (etwa aus Bereicherungsrecht) sind ausgeschlossen (§ 361 Abs. 1 BGB). Danach regeln § 355 Abs. 3 § 357- 357d BGB abschließend für jeden Fall des Widerrufs durch den Verbraucher die Ansprüche, die der Unternehmer gegen den Verbraucher infolge des Widerrufs hat. Weitergehende Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher sind ausgeschlossen. Zu den vom Haftungsausschluss erfassten Ansprüchen gehören nach der amtlichen Begründung Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, aber auch Ansprüche aus § 280 BGB, etwa wenn der Verbraucher die Ware nicht oder nur mit einer erheblichen Wertminderung herausgeben kann. Insbesondere über § 357 Abs. 7 oder Abs. 8 BGB hinausgehende Wertersatzansprüche unterfallen dem Ausschluss, ebenso wie Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher auf Nutzungswertersatz (Fritsche in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 361 Rn. 2 f.).“
Anmerkung:
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn es wurde die Revision zum BGH zugelassen. Sollte das Urteil aber Bestand haben, dann kann dies für Sixt, aber auch für andere Autovermieter, die in ähnlicher Weise nicht korrekt belehrt haben, teuer werden, weil dann Leasingnehmer in ähnlicher Weise vorgehen können. Sixt zum Trost lässt sich die Rechtsprechung aber nicht auf Geschäftsleasingverträge übertragen, weil Unternehmern, im Gegensatz zu Verbrauchern, kein Widerrufsrecht zusteht.
Der Fall verdeutlicht aber zweierlei: Zum einen das Regelungen zum Schutz der Verbraucher, die allesamt europarechtlichen Vorgaben entsprechen, zwischenzeitlich so kompliziert geworden sind, dass selbst ein großes Unternehmen wie Sixt nicht in der Lage ist rechtsicher zu belehren. Zum anderen macht der Fall aber auch deutlich, dass Rechtsprechung und gesundes Rechtsempfinden manchmal doch deutlich auseinanderfallen, denn warum ein gerissener Verbraucher auf Kosten eines Unternehmens ca. 40.000 km ersatzlos auf einen Neuwagen fahren darf und im Gegenzug sogar seine Leasingraten noch verzinst erhält, ist dem juristischen Laien kaum zu vermitteln. Auch nicht die Diskrepanz zu den sog. Diesel-Urteilen, also den Urteilen, in denen Käufer von Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns erfolgreich auf Rückabwicklung geklagt hatten, denn dort müssen sich die Käufer regelmäßig die gefahrenen Kilometer als Nutzungsersatz anrechnen lassen. Besonders grotesk ist, dass in diesen Urteilen regelmäßig dem Volkswagenkonzern eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung, also ein betrügerisches Verhalten, vorgeworfen wird, während hier der Autovermieter lediglich nicht in der Lage war die komplizierten Regelungen korrekt anzuwenden. Von daher ist fraglich, ob solche Urteile dann wirklich „im Namen des Volkes“ gesprochen werden oder aber ob sich hier das Recht vom gesunden Volksempfinden losgelöst. Letzteres wäre dem Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat auf Dauer nicht förderlich.