In der Praxis des Erbrechts treten häufig Fälle auf, in denen der Wille des Erblassers nicht in einer formgültigen letztwilligen Verfügung festgehalten wurde, weil der Erblasser seinen Willen nur mündlich geäußert oder jedenfalls kein formwirksam es Testament errichtet hat. Ein solches Szenario führt oft nicht nur dazu, dass derjenige, der etwas erhalten sollte, am Ende leer ausgeht, sondern selbst dann, wenn innerhalb der Familie Einigkeit besteht, dass der geäußerte Wille zu respektieren sei, zu unerwarteten Ergebnissen und stellt die Hinterbliebenen vor komplexe rechtliche und steuerliche Herausforderungen.
Sachverhalt
Robert Mayr (Name geändert) pflegte eine enge Beziehung zu seiner Nichte Claudia. Er äußerte wiederholt den Wunsch, dass Claudia nach seinem Ableben sein Apartment an der Nordsee erhalten solle. Dieser Wille war innerhalb der Familie bekannt, wurde jedoch nicht in einem Testament dokumentiert. Da seine Ehefrau bereits vorverstorben war und er keine Kinder hatte, und auch seine Eltern bereits vorverstorben waren, wurden seine drei Geschwister, darunter auch die Mutter von Claudia, gemäß der gesetzlichen Erbfolge (§§ 1924 ff. BGB) zu gleichen Teilen Erben. Die Geschwister möchten den geäußerten Wunsch ihres verstorbenen Bruders respektieren und überlegen, wie sie das Apartment an Claudia übertragen können, ohne erhebliche steuerliche Belastungen zu verursachen. Der Wert des Apartments beträgt ca. 150.000 Euro.
Erbrechtliche Betrachtung
Ein mündlich geäußerter Wille des Erblassers hat im deutschen Erbrecht keine rechtliche Bindung. Ohne ein formgültiges Testament oder einen Erbvertrag greift die gesetzliche Erbfolge. Da Robert Mayr keine Abkömmlinge hinterlässt und seine Ehefrau vorverstorben ist, erben seine Geschwister zu gleichen Teilen (§ 1925 Abs. 1 BGB). Claudia, als Nichte, ist in der gesetzlichen Erbfolge nachrangig und würde nur erben, wenn keine Erben der vorhergehenden Ordnungen vorhanden wären.
Möglichkeiten der Übertragung an Claudia
Um den Willen des Erblassers dennoch umzusetzen, stehen den Geschwistern folgende Optionen zur Verfügung:
- Schenkung des Apartments an Claudia: Die Geschwister können das Apartment gemeinschaftlich unentgeltlich an Claudia übertragen.
- Verkauf des Apartments und Schenkung des Erlöses: Alternativ können die Geschwister das Apartment veräußern und den Verkaufserlös an Claudia schenken.
Steuerliche Konsequenzen
Beide Varianten haben unterschiedliche steuerliche Implikationen:
- Erbschaftsteuer bei den Geschwistern: Jeder der drei Geschwister erbt ein Drittel des Apartments, also einen Wert von 50.000 Euro. Für Geschwister gilt ein persönlicher Freibetrag von 20.000 Euro (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG). Somit sind jeweils 30.000 Euro steuerpflichtig. Der Steuersatz für Steuerklasse II beträgt für Beträge bis 75.000 Euro 15 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG), was zu einer Steuerlast von 4.500 Euro pro Geschwisterteil führt.
- Schenkungsteuer bei Claudia: Bei einer Schenkung des Apartments oder des Verkaufserlöses an Claudia ist zu beachten, dass Nichten zur Steuerklasse II gehören und ebenfalls einen Freibetrag von 20.000 Euro haben (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG). Bei einem Wert von 150.000 Euro wären somit 130.000 Euro steuerpflichtig. Der Steuersatz beträgt hier 20 %, was zu einer Steuerlast von 26.000 Euro führt.
Dabei spielt es keine Rolle, ob das Apartment oder der Verkaufserlös geschenkt wird.
Optimierungsmöglichkeiten
Um die steuerliche Belastung zu minimieren, könnten folgende Schritte erwogen werden:
- Gestaffelte Schenkung: Die Geschwister könnten ihre Anteile schrittweise in zeitlichen Abständen von jeweils zehn Jahren an Claudia übertragen, um den Freibetrag mehrfach zu nutzen. Das dauert aber nicht nur lang, sondern ist auch mit der Unsicherheit behaftet, dass keiner prognostizieren kann, ob und wenn ja wie sich Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer in den nächsten Jahren verändern werden.
- Nutzung von Kettenschenkungen: Eine indirekte Übertragung über nahe Verwandte mit höheren Freibeträgen könnte in Betracht gezogen werden. Hier wäre beispielsweise daran zu denken, dass Claudias Mutter erwirbt und Claudia dann das Eigentum von dieser erhält, weil er hier in Freibetrag von 400.000 € zur Verfügung steht. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, da das Finanzamt solche Gestaltungen unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) kritisch prüfen kann.
Fazit
Der Fall verdeutlicht die Bedeutung einer rechtzeitigen und formgültigen Testamentserrichtung, um den eigenen Willen nach dem Ableben rechtssicher umzusetzen. Fehlt ein solches Testament, greifen die Regelungen der gesetzlichen Erbfolge, die nicht immer im Sinne des Erblassers sind. Die nachträgliche Umsetzung des mündlich geäußerten Willens kann zu erheblichen steuerlichen Belastungen führen. In diesem Fall, dass neben der Erbschaftsteuer auch noch zusätzlich Schenkungsteuer ausgelöst wird, also die Übertragung der Immobilie zweimal besteuert wird. Daher ist es ratsam, frühzeitig fachkundigen Rat einzuholen und testamentarische Verfügungen klar und rechtsgültig zu dokumentieren. Der Erblasser hätte hier zweckmäßig ein privatschriftliches Testament errichten müssen, und dabei entweder Claudia gleich zur Erbin einsetzt müssen oder aber jedenfalls ein Vermächtnis zugunsten von Claudia verfügen, das dieser einen Anspruch auf Übertragung der Immobilie einräumt.