Das sogenannte Leerstandsmodell, oft auch als Sylter Modell bezeichnet, ist eine steuerliche Gestaltungsmöglichkeit, die insbesondere bei der Übertragung von Immobilienvermögen Anwendung findet. Ziel ist es, Grundbesitz, der sich im Betriebsvermögen oder im Vermögen einer Kapitalgesellschaft befindet, steuerlich begünstigt zu übertragen. Grundlage hierfür sind die Vorschriften der §§ 13a und 13b des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG), die unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerbefreiung gewähren.
Das Modell nutzt gezielt den Wortlaut von § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG aus. Dieser schließt Grundbesitz von der Steuerbefreiung aus, wenn er „Dritten zur Nutzung überlassen“ wird. Ist der Grundbesitz am Stichtag jedoch leerstehend – beispielsweise in der Zeit zwischen zwei Mietverhältnissen –, liegt formal keine Überlassung an Dritte vor. In solchen Fällen konnten Steuerpflichtige bisher die Steuerbefreiung beanspruchen, da die Immobilie am Bewertungsstichtag nicht dem Verwaltungsvermögen zugeordnet wurde.
Die Fallstricke des Leerstandsmodells
Das Leerstandsmodell war lange Zeit ein beliebtes Mittel, um Steuerlasten zu senken. Doch die steuerliche Gestaltung birgt erhebliche Risiken:
- Stichtagsbezogenheit der Verwaltungsvermögensprüfung: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist für die Einordnung eines Wirtschaftsguts als Verwaltungsvermögen der Stichtag der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 ErbStG) entscheidend. Befindet sich der Grundbesitz an diesem Tag im Leerstand, wird die Steuerbefreiung grundsätzlich gewährt.
- Keine gesetzliche Differenzierung: Der Gesetzgeber differenziert in § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG nicht zwischen langfristiger und kurzfristiger Nutzungsüberlassung. Somit können auch kurzfristige Leerstandsphasen steuerliche Begünstigungen ermöglichen.
- Intention des Gesetzgebers: Die Finanzverwaltung argumentiert zunehmend, dass das Modell die Absicht des Gesetzgebers untergräbt, da es rein formal auf den Leerstand und nicht auf die tatsächliche Nutzung abstellt.
Neue Entwicklungen in der BFH-Rechtsprechung
Die Rechtsprechung des BFH hat das Leerstandsmodell in den letzten Jahren zunehmend kritisch betrachtet. Mit Urteil vom 28. Februar 2024 (Az. II R 27/21) hat der BFH entschieden, dass Grundbesitz, der im Rahmen eines Parkhausbetriebs Dritten zur Nutzung überlassen wird, Verwaltungsvermögen darstellt. Das Urteil hebt hervor, dass es für die steuerliche Einordnung nicht allein auf den tatsächlichen Leerstand, sondern auf die generelle Zweckbestimmung des Grundbesitzes ankommt.
Die Entscheidung deutet darauf hin, dass die bisherige Praxis des Leerstandsmodells zukünftig strenger gehandhabt werden könnte. Der BFH stellt klar, dass der Gesetzgeber keine Ausnahme für Leerstandszeiten vorgesehen hat. Auch die Finanzverwaltung scheint zunehmend bestrebt, steuerliche Vorteile, die sich aus diesem Modell ergeben, anzufechten.
Auswirkungen für die Praxis
Erhöhte Prüfung durch Finanzämter: Steuerpflichtige, die das Leerstandsmodell nutzen, müssen mit einer intensiven Prüfung durch die Finanzbehörden rechnen. Insbesondere die Frage, ob eine Immobilie zur Vermietung an Dritte bestimmt war, könnte eine zentrale Rolle spielen.
Verbindliche Auskünfte: Angesichts der unsicheren Rechtslage sollten Steuerpflichtige vor der Umsetzung des Modells eine verbindliche Auskunft bei der Finanzverwaltung einholen.
Mögliche gesetzliche Anpassungen: Es ist nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber das Erbschaftsteuergesetz dahingehend ändert, dass auch Leerstandszeiten als Nutzungsüberlassung gelten. Dies würde das Leerstandsmodell weitgehend entkräften.
Fazit
Das Leerstandsmodell bietet nach wie vor Gestaltungsspielräume, steht jedoch unter zunehmender rechtlicher und fiskalischer Beobachtung. Steuerpflichtige sollten sich der Risiken bewusst sein und auf aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung und Gesetzgebung achten. Die Entscheidung des BFH vom 28. Februar 2024 zeigt deutlich, dass die Finanzbehörden die steuerliche Begünstigung betrieblicher Immobilien strenger prüfen werden.
Um Rechtsnachteile zu vermeiden, ist eine sorgfältige Planung und Dokumentation erforderlich. Verbindliche Auskünfte der Finanzverwaltung können helfen, Rechtsunsicherheiten zu minimieren. Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Modell zwar weiterhin genutzt werden kann, die Tendenz in der Rechtsprechung jedoch klar gegen eine allzu weitgehende Anwendung spricht. Steuerpflichtige sollten daher genau abwägen, ob das Risiko einer steuerlichen Nachveranlagung tragbar ist.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.