Bei Gericht herrscht oft ein rüder Umgangston, sowohl zwischen den Parteien als auch zwischen den Rechtsvertretern. Dies insbesondere dann, wenn nach Auffassung einer Partei die andere Partei lügt oder aber versucht den Sachverhalt zu verdrehen und die Gefahr besteht, dass das Gericht darauf hereinfällt. Solche verbalen Setzungen, gleichgültig, ob mündlich oder schriftlich, haben aber regelmäßig kein Nachspiel, weil Parteien eines Rechtsstreits, ebenso wie Zeugen und erst recht Rechtsanwälte für Prozessäußerungen meist nicht außerhalb des Rechtsstreits im sogenannten Ehrschutzverfahren zur Verantwortung gezogen werden können. Solange es sich nämlich um bloße Meinungsäußerungen und nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt, greift hier stets der überragende Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.
Richtet sich der Unmut des Rechtsanwalts dagegen nicht gegen die Gegenpartei, sondern gegen das Gericht selbst, weil er ihn für inkompetent, unzureichend vorbereitet oder gar befangen hält, dann reagiert mancher Richter, (nicht nur in Deutschland) schnell allergisch. So wurde der spanische Rechtsanwalt Rodriguez Ravelo, der in einem Zivilrechtsstreit der Richterin Lügen und die Verzerrung der Wahrheit zugunsten seiner Mandantschaft vorgeworfen hatte kurzerhand wegen Verleumdung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt.
Dies wollte sich der tapfere Streiter erst recht nicht bieten lassen und zog gegen seine Verurteilung vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und obsiegte.
Mit Urteil vom 12.01.2016 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall v. Spain (Beschwerdenr. 48074/10), dass die Sanktionierung eines Rechtsanwalts, der in Schriftsätzen einer Richterin verwerfliches Verhalten vorgeworfen hatte, gegen das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK verstößt.
Nach Auffassung des EGMR habe sich der Rechtsanwalt zur Prozessführung der Richterin geäußert und im Rahmen der Vertretung der Interessen des Mandanten. Die Äußerungen des Rechtsanwalts seien zwar unhöflich gewesen, aber nur schriftlich ergangen und nur dem Gericht und den Streitparteien bekannt gewesen. Eine strafrechtliche Sanktionierung des Rechtsanwalts könne eine entmutigende Wirkung auf Rechtsanwälte haben, die im Sinne ihrer Mandanten handeln müssten.
Fazit:
Gibt also das Verhalten eines Richters Grund zu Beanstandungen, dann braucht sich dies ein Rechtsanwalt nicht bieten lassen, sondern kann mit deutlichen Worten sagen, was er von dem Gericht hält. Dies ist eigentlich so offensichtlich, dass es fast schon erschreckend ist, dass hierzu der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemüht werden muss. Viel erschreckender ist aber, dass nicht nur die angegriffene Richterin sich auf den Schlips getreten gefühlt hat, sondern ein Staatsanwalt den Sachverhalt zur Anklage und ein anderes Gericht dem mutigen Anwalt auch noch verurteilt hat und das nicht etwa in einer Diktatur, sondern mitten in Europa.