Eine Eigenbedarfskündigung zu formulieren und nötigenfalls auch den Anspruch auf Herausgabe mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen, ist nicht immer ganz einfach. Dies insbesondere dann, wenn ein sozial schwacher Mieter aus der Wohnung herausgeklagt werden soll. Dass dies aber durchaus möglich ist, zeigt ein Urteil des Amtsgerichts München vom 26.07.2018 (433 C 19586/17). Dort hat das Gericht der Kündigung eines Vermieters stattgegeben, obwohl die Mieterin eine 78-jährige, gehbehinderte Rentnerin gewesen ist, die seit fast 30 Jahren in der Wohnung gelebt hatte.
Eigentümer möchte von Augsburg nach München ziehen und spricht deshalb Eigenbedarfskündigung aus
Der 36-jährige Kläger hatte die Wohnung 2011 von seinen Eltern geschenkt bekommen. Die Eltern hatten die Wohnung im Jahr 2005 gekauft und in ihrer Vernehmung als Zeugen ausgesagt, dass sie die von der Beklagten bewohnte Zweizimmerwohnung von Anfang an in der Absicht gekauft hatten, dass darin ihr Sohn, der damals noch in München studiert hatte, wohnen sollte.
Bereits in den Jahren 2013 und 2014 hatte der Kläger erfolglos Eigenbedarfskündigungen ausgesprochen. Obwohl er damals der Beklagten eine identische Wohnung im dritten Obergeschoss vermittelt und auch die Zahlung einer Kaution angeboten habe, habe diese nicht reagiert. Er habe dann auf eine gerichtliche Geltendmachung verzichtet.
Er, der Kläger, mache gerade eine Facharztausbildung in Augsburg. Er wolle aber sich auf eine Stelle nach München bewerben, weil dort nicht nur seine Freundin lebe, sondern er dort auch Geschwister und seine Freunde habe. Auch, wenn er eine solche Stelle noch nicht habe, so werde er bis dahin aufgrund der erheblichen sozialen Vorteile eben dann von München nach Augsburg pendeln.
Beklagte beruft sich auf lange Mietdauer, Schwerbehinderung, psychische Beeinträchtigungen und beengte finanzielle Verhältnisse
Die Beklagte wiederum, eine 78-jährige, gehbehinderte Rentnerin, dachte gar nicht daran auszuziehen. Zu ihrer Verteidigung trug sie vor, dass in Anbetracht ihrer beengten finanziellen Verhältnisse angemessener, bezahlbarer Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung stehen würde. Im Übrigen sei sie schwer behindert. Sie würde an Gleichgewichtsstörungen und anderen psychischen Beeinträchtigungen leiden. Auch bewohne sie die Wohnung seit dem Jahr 1990, also seit nunmehr fast 30 Jahren.
AG München: Nutzungswille des Vermieters maßgeblich
Wer nun meint im sozialen Mietrecht, habe der Vermieter keine Chance in seine Wohnung einzuziehen, der hat die Rechnung ohne dass Amtsgericht München gemacht. Das Gericht war dabei nach der Anhörung des Klägers und nach der Vernehmung seiner Eltern als Zeugen davon überzeugt, dass beim Kläger sowohl ein Nutzungswille als auch ein Nutzungsinteresse vorhanden wäre. Der Nutzungswille, so das Gericht, setze voraus, dass der Vermieter die ernsthafte Absicht habe, die Räume selbst als Wohnung zu nutzen. Beide Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, dass der Kläger bereits seit seinem Erststudium in München und auch noch nach seinem Zweitstudium das Ziel verfolgte, in München seinen Lebensmittelpunkt zu begründen und zwar in privater und langfristig auch in beruflicher Hinsicht. Dazu würde er auch ein Pendeln zwischen München und Augsburg in Kauf nehmen. Die Zeugen hätten bestätigt, dass der Kläger in München Verwandte und Freunde hat und dass der Einzug in die Wohnung in Augsburg lediglich eine Interimslösung darstellte, nachdem die Wohnung in München noch nicht frei gewesen sei, als der Kläger die Arbeitsstelle in Augsburg antrat. Es sei für das Gericht nachvollziehbar und vernünftig, dass der Kläger aufgrund seiner Verbindung zur Stadt München seinen Lebensmittelpunkt nach München verlagern möchte. Im Übrigen sei die Entscheidung des Klägers über seine weitere Lebensplanung, also zum Beispiel auch die Entscheidung, ob er zukünftig zur Arbeit pendelt oder nicht, im Hinblick auf die grundgesetzliche Gewährleistung des Eigentums gemäß Art. 14 GG zu respektieren und nicht durch fremde Vorstellungen zu ersetzen.
Mieterin muss erst nach 6 Monaten ausziehen
Das Gericht hat dann der Mieterin eine Räumungsfrist von 6 Monaten zugebilligt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass einerseits aufgrund des angespannten Münchner Mietmarktes einerseits und der gesundheitlichen Einschränkungen der Beklagten andererseits eine solche Frist angemessen sei. Sie sei dem Kläger auch zumutbar, weil dieser ja selbst angegeben hatte, dass für ihn für eine Übergangszeit ein Pendeln von München nach Augsburg kein Problem darstellen würde. Deshalb sei ihm auch umgekehrt ein Pendeln von Augsburg nach München zumutbar.
Das Urteil ist interessant. Dass ein anderer Richter oder eine andere Richterin oder aber ein anderes Gericht an einem anderen Ort oder gar einem anderen Bundesland generell einen vergleichbaren Fall ebenso beurteilen würde, erscheint fraglich. Wer einerseits den Münchener Mietmarkt kennt, andererseits aber auch das Alter und die Gebrechen der Beklagten beachtet, für den ist das Urteil, Eigentumsgrundrecht hin oder her, nur schwer verständlich. eine 78-jährige Rentnerin mit beschränkten finanziellen Mitteln, Schwerbehinderung hin oder her, findet in München auch innerhalb von 6 Monaten grundsätzlich keine bezahlbare Vergleichswohnung. Dies erscheint nahezu ausgeschlossen.
Auch, wenn das Urteil rechtskräftig ist, bedeutet dies für den Kläger allerdings nicht zwingend, dass damit die Mieterin in 6 Monaten auch ausziehen wird. Jedenfalls dann, wenn sie einen in Zwangsvollstreckungssachen findigen Anwalt hat, kann der Auszug mit entsprechenden Vollstreckungsschutzanträgen eine Zwangsräumung doch noch ganz beträchtlich nach hinten verschoben werden.
Apropos Zwangsräumung: was bei der Lektüre solcher Urteile meist vergessen wird, ist, dass in derartigen Streitigkeiten der Vermieter, auch dann, wenn er gewinnt, faktisch doch mit ganz erheblichen Kosten belastet wird. Die schönsten Kostenerstattungsansprüche nutzen nämlich nichts, wenn auf Mieterseite nichts zu holen ist. Soll dann auch noch eine Wohnung zwangsgeräumt werden, dann verlangt der damit beauftragte Gerichtsvollzieher vom Vermieter zunächst erst einmal einen Vorschuss von 4.000 – 5.000 €, bevor es überhaupt losgeht. Wir haben erst heute in einer anderen Angelegenheit, bei der wir ein Einfamilienhaus vor einiger Zeit haben zwangsweise räumen lassen, und dann über Jahre hinweg gegen die ehemaligen Mieter zwangsvollstreckt haben, die Nachricht erhalten, dass diese zwischenzeitlich einen Insolvenzantrag gestellt haben. Wer also als Vermieter in den „Krieg“ gegen seinen Mieter zieht, der muss auch immer einplanen, dass er so oder so mit Kosten belastet werden kann.