Der Elternunterhalt stellt erwachsene Kinder regelmäßig vor bedeutende rechtliche und finanzielle Fragen, insbesondere dann, wenn ihre Eltern pflegebedürftig werden und in einem Pflegeheim untergebracht sind. Mit dem Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 6/24 hat der Bundesgerichtshof (BGH) die gesetzlichen Rahmenbedingungen nochmals verdeutlicht und Klarheit zur 100.000-Euro-Einkommensgrenze geschaffen. Damit sind aber längst nicht alle Fragen beantwortet.
Die 100.000-Euro-Grenze nach dem Beschluss des BGH
Der Gesetzgeber hat mit § 94 Abs. 1a SGB XII eine klare Regelung geschaffen: Danach müssen Kinder, deren jährliches Bruttoeinkommen unter 100.000 Euro liegt, keinen Elternunterhalt zahlen. Die Rechtsprechung des BGH konkretisiert nun diese Regelung und stellt klar, dass bei Überschreiten dieser Grenze eine grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung von Elternunterhalt besteht. Dabei stellt das Gericht nicht allein auf das Einkommen, sondern auch auf die finanzielle Gesamtsituation der Unterhaltspflichtigen ab.
Im Beschluss vom 23. Oktober 2024 verdeutlichte der BGH zudem, dass alle Einkommensarten einschließlich Sonderzahlungen wie Boni oder Weihnachtsgeld in die Berechnung der 100.000-Euro-Grenze einfließen müssen. Das bedeutet, dass Kinder mit einem Einkommen über dieser Grenze grundsätzlich geprüft werden, ob und in welcher Höhe sie für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen müssen.
Berechnungsbeispiel für eine Tochter mit 120.000 Euro Einkommen
Um die praktischen Auswirkungen dieser Entscheidung zu veranschaulichen, betrachten wir das Beispiel einer Tochter, deren jährliches Bruttoeinkommen 120.000 Euro beträgt. Nehmen wir an, die monatliche Zuzahlung für das Pflegeheim der Eltern beläuft sich auf 1.600 Euro.
Die Berechnung des Unterhalts erfolgt nach Abzug aller relevanten Belastungen und eines angemessenen Selbstbehalts. Der angemessene Selbstbehalt beträgt für Alleinstehende derzeit 2.400 Euro monatlich netto, für Verheiratete liegt dieser Betrag höher, da auch die familiären Verhältnisse berücksichtigt werden. Bei einem Bruttoeinkommen von 120.000 Euro verbleibt nach Steuern und Sozialabgaben erfahrungsgemäß ein Netto-Einkommen von ca. 5.800 Euro monatlich. Nach Abzug des Selbstbehalts von 2.400 Euro verbleiben somit rund 3.400 Euro monatlich, aus denen der Elternunterhalt bestritten werden könnte. Bei einer erforderlichen monatlichen Zuzahlung von 1.600 Euro wäre es der Tochter zumutbar, diese Unterhaltspflicht zu erfüllen, da ausreichend finanzielle Ressourcen verbleiben.
Berücksichtigung des Ehepartners in Rente
Von entscheidender Bedeutung ist auch die finanzielle Situation des Ehepartners der unterhaltspflichtigen Person. Befindet sich der Ehepartner in Rente und verfügt nur über ein vergleichsweise geringes Einkommen (z. B. eine monatliche Bruttorente von 1.800 Euro), wirkt sich dies entlastend auf die unterhaltspflichtige Tochter aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2013 – XII ZB 543/11) sind bei verheirateten Paaren die gemeinsamen Einkommensverhältnisse maßgeblich, da dem Ehepartner ein angemessener Lebensstandard zu verbleiben hat. Das Gericht würde in diesem Fall also berücksichtigen, dass ein Teil des Einkommens der Tochter zum Unterhalt des Ehepartners beiträgt und folglich nicht vollständig zur Verfügung steht, um den Elternunterhalt zu decken.
Auch wenn noch Unterhaltspflichten gegenüber Kindern bestehen, dann sind diese gegenüber dem Elternunterhalt vorrangig.
Reduktion der Arbeitszeit zur Unterschreitung der 100.000-Euro-Grenze
Die Frage, ob eine absichtliche Reduktion der Arbeitszeit zur Umgehung der Unterhaltspflicht rechtlich zulässig ist, wurde von der Rechtsprechung bereits mehrfach kritisch beurteilt, so dass eine absichtliche Einkommensminderung, die lediglich der Vermeidung einer Unterhaltspflicht dient, nicht anerkannt wird. Demzufolge wäre eine freiwillige Reduktion der Arbeitszeit von 5 auf 4 Tage mit dem alleinigen Zweck, das Einkommen unter die 100.000-Euro-Grenze zu senken, grundsätzlich nicht geeignet, die gesetzliche Unterhaltspflicht zu umgehen. Die Gerichte würden in einem solchen Fall eine fiktive Einkommensberechnung durchführen und den Elternunterhalt dennoch zusprechen. Gleichwohl kommt es hier sehr stark auf die Umstände des Einzelfalls an. Gerade dann, wenn so wie im Beispielsfall, der Ehemann erst vor kurzem in Rente gegangen ist, könnte mit einem billigenswert Interesse der Ehefrau argumentiert werden, künftig mehr Zeit mit ihrem Ehemann zu verbringen. Dies würde, hat sie erst recht gelten, wenn dieser schwer erkrankt ist und die Frau sich wünscht, die verbliebene Lebenszeit stärker mit diesem zu verbringen.
Fazit
Die jüngste Rechtsprechung des BGH verdeutlicht, dass die 100.000-Euro-Grenze beim Elternunterhalt strikt gehandhabt wird und sämtliche Einkommensarten berücksichtigt werden. Unterhaltspflichtige Kinder mit Einkommen oberhalb dieser Grenze müssen sich auf detaillierte Überprüfungen ihrer Leistungsfähigkeit einstellen. Auch persönliche Lebensumstände, sind hierbei relevant. Strategien, durch absichtliche Einkommensreduzierung den Elternunterhalt zu vermeiden, sind regelmäßig nicht erfolgreich und können zu fiktiven Einkommensberechnungen führen. Es empfiehlt sich daher stets eine individuelle juristische Beratung, um die persönliche Situation sachgerecht zu bewerten und optimalen Rechtsschutz zu gewährleisten.