In Deutschland leben über 3 Millionen türkische Staatsangehörige. Deshalb taucht immer wieder die Frage auf, nach welchem Recht ein in Deutschland lebender türkischer Staatsangehöriger beerbt wird. Das OLG Hamm hat hierzu in seinem Beschluss vom 21.03.2019 (10 B 31/17) Stellung genommen und klargestellt, dass für in Deutschland belegenes Immobilienvermögen deutsches Erbrecht zur Anwendung gelangt, während für bewegliches Vermögen türkisches Erbrecht gilt, so dass es zu einer „Nachlassspaltung“ kommt.
Für in Deutschland belegenes Immobilienvermögen gilt deutsches Erbrecht
„Maßgeblich für die Bestimmung des anwendbaren Erbrechts ist § 14 der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28.05.1929 (im Folgenden: Nachlassabkommen). Der Anwendungsbereich des Nachlassabkommens ist eröffnet, da der Erblasser türkischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland war. Gemäß Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO findet das Nachlassabkommen auch nach Inkrafttreten dieser Verordnung weiterhin Anwendung.
Gemäß § 14 des Nachlassabkommens kommt es zur Nachlassspaltung. Während sich die erbrechtlichen Verhältnisse bezüglich des beweglichen Vermögens nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Erbfalls angehörte, hier also der Türkei, richten, verweist § 14 S. 2 bezüglich des unbeweglichen Vermögens auf das Recht des Belegenheitsortes. Insoweit handelt es sich wegen des staatsvertraglichen Ursprungs um eine Sachnormverweisung, so dass für den inländischen unbeweglichen Nachlass deutsches Erbrecht Anwendung findet.“
Achtung: keine Erhöhung des Erbrechts türkischer Ehegatten über § 1371 Abs. 1 BGB
Nach deutschen Erbrecht können Ehegatten, die keinen Ehevertrag abgeschlossen haben, als gesetzliche Erben neben dem Erbteil bei Beendigung der Ehe durch Tod nach § 1371 Abs. 1 BGB einen erhöhten Erbteil als Zugewinnausgleich fordern. Diese Erhöhung des Ehegattenerbteils findet bei rein türkischen Ehen dagegen nicht statt, weil der Anwendungsbereich von § 1371 Abs. 1 BGB nicht eröffnet ist. Auf die (umstrittene) Frage, ob diese Regelung erbrechtliche oder güterrechtliche Natur ist, kommt es dabei nach Auffassung des OLG Hamm nicht entscheidend an.
Güterrechtliche Qualifikation
„Bei güterrechtlicher Qualifikation wird die Teilfrage des anwendbaren Güterrechts selbständig angeknüpft. Art. 15 Abs. 1 EGBGB knüpft insoweit akzessorisch an das zum Zeitpunkt der Eheschließung für die allgemeinen Ehewirkungen maßgebliche Recht an. Eine Rechtswahl ist von den Eheleuten nicht getroffen worden. Nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB i.V.m. Art. 15 Abs. 1 EGBGB ist somit das Recht des Staates der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten maßgeblich. Beide waren durchgehend türkische Staatsangehörige. Somit findet für das Güterrecht türkisches Recht Anwendung.
Das nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu berücksichtigende türkische internationale Privatrecht nimmt die Verweisung auf das türkische Sach-recht durch den einschlägigen Art. 15 des türkischen IPR-Gesetzes an. Nach Art. 15 Abs. 1 IPRG ist türkisches Sachrecht anzuwenden. Dieses sieht eine Erhöhung des Erbteils bei der Beendigung der Ehe durch den Tod eines Ehepartners nicht vor. Dies gilt unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob vorliegend auf den gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft nach altem türkischen Recht oder auf den gesetzlichen Güterstand der Errungensgemeinschaft nach neuem türkischen Recht abzustellen ist.“
Erbrechtliche Qualifikation
„Qualifiziert man § 1371 Abs. 1 BGB hingegen erbrechtlich, kommt die Vorschrift zwar unmittelbar zur Anwendung. Jedoch sind die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Erbteils nach dieser Vorschrift nicht erfüllt. § 1371 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt des Erbfalls im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten. Das Vorliegen einer Zugewinngemeinschaft ist damit eine Vorfrage. Ob diese selbstständig oder unselbstständig anzuknüpfen ist, kann offen bleiben, da sowohl nach der lex fori als auch nach der lex causae deutsches Recht anzuwenden ist.“
Türkisches Recht kennt den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht
„Wie gezeigt, verweisen die Art. 15 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 EGBGB auf türkisches Recht, das die Verweisung annimmt. Das türkische Sachrecht kennt den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht. Nach dem Gesagten können die nach türkischem Recht in Betracht kommenden Güterstände auch nicht im Wege der Substitution dem Güterstand der Zugewinn-gemeinschaft gleichgestellt werden. An einer solchen Übereinstimmung in den wesentlichen normprägenden Merkmalen fehlt es hier. Denn wie gezeigt, fehlt es sowohl bei dem gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft nach türkischem Recht alter Fassung als auch bei dem gesetzlichen Güterstand der Errungensgemeinschaft nach türkischem Recht neuer Fassung an einer erb-rechtlichen Lösung für den Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehepartners. Dies ist aber nach zutreffender herrschender Meinung ein normprägendes Merkmal der Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts.“
Wann benötige ich welchen Erbschein?
Hier erfahren Sie wann welcher Erbschein bei Erbfällen mit Türkeibezug benötigt wird.
Türkischer Erblasser hinterlässt ausschließlich bewegliches Vermögen in Deutschland
Wenn ein türkischer Staatsangehöriger verstorben ist und in Deutschland ausschließlich beweglichen Nachlass (z.B. Geld auf Bankkonten) hinterlassen hat, genügt nach § 14 des Nachlassabkommens zum Nachweis des Erbrechtes in Deutschland ein türkischer Erbschein. Dieser türkische Erbschein muss dann, um in Deutschland verwendet werden zu können, gem. § 17 des Nachlassabkommens mit einer Beglaubigung durch eine türkische Auslandsvertretung in Deutschland versehen werden.
Türkischer Erblasser hinterlässt in Deutschland unbewegliches Vermögen
Wenn ein türkischer Staatsangehöriger verstorben ist und in Deutschland unbeweglichen Nachlass (z.B. Wohnung, Haus oder Grundstück) hinterlassen hat, benötigen die Erben zum Nachweis ihres Erbrechtes in Deutschland nach § 14 II iVm. § 17 des Nachlassabkommens einen deutschen Erbschein. Den entsprechenden Erbscheinsantrag kann der Erbe, wenn er seinen Wohnsitz in Deutschland hat, direkt bei dem zuständigen Amtsgericht/Nachlassgericht am letzten inländischen Wohnsitz des Verstorbenen stellen. Falls die Erben ihren Wohnsitz in der Türkei haben, ist der Antrag auf den Erbschein bei der für ihren Wohnsitz in der Türkei zuständigen deutschen Auslandsvertretung zu stellen.
Deutscher Erblasser, der in der Türkei verstorben ist, hinterlässt bewegliches oder unbewegliches Vermögen in Deutschland
Wenn ein deutscher Staatsangehöriger in der Türkei oder Deutschland verstorben ist und beweglichen oder unbeweglichen Nachlass (z.B. Grundstück oder Geld auf Bankkonten) in Deutschland hinterlassen hat, benötigen die Erben zum Nachweis ihres Erbrechtes in Deutschland einen deutschen Erbschein.
Deutscher Erblasser hinterlässt unbewegliches Vermögen in der Türkei
Wenn ein deutscher Staatsangehöriger in der Türkei oder in Deutschland verstorben ist und unbeweglichen Nachlass in der Türkei hinterlassen hat, benötigen die Erben zum Nachweis ihres Erbrechtes in der Türkei einen türkischen Erbschein.
Deutscher Erblasser hinterlässt bewegliches Vermögen in der Türkei
Wenn ein deutscher Staatsangehöriger in der Türkei oder in Deutschland verstorben ist und beweglichen Nachlass in der Türkei hinterlassen hat, genügt den Erben zum Nachweis ihres Erbrechtes nach § 14 des Nachlassabkommens zum Nachweis des Erbrechtes in der Türkei ein deutscher Erbschein.
Erbrecht ist unsere Leidenschaft. Wir beraten und vertreten Sie daher gerne auch bei komplizierten Fällen, ebenso wie in Fällen mit Auslandsberührung.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.