Kommt es im Rahmen eines Erbfalls zu einem Rechtsstreit darüber, wer mit welcher Quote Erbe geworden ist, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn mehrere Testamente/Erbverträge vorhanden sind und darüber Streit besteht, ob das jüngste Testament oder die jüngste Erbvertrag wirksam ist, weil Testierunfähigkeit oder Fälschung im Raum steht, dann wird für gewöhnlich der Streit um das Erbrecht im Rahmen des sog. Erbscheinverfahren beim Nachlassgericht geführt. Derjenige, der ein Erbrecht oder eine bestimmte Quote beansprucht, wird das Verfahren regelmäßig dadurch anstoßen, dass er einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins stellt. Werden dann Einwendungen gegen die Erbenstellung oder die Quote erhoben, dann prüft das Nachlassgericht, ob die Einwendungen berechtigt sind.
Die Erbenfeststellungsklage führt dagegen meist ein eher stiefmütterliches Dasein, weil im Unterschied zum Erbscheinverfahren, bei dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, das Gericht also von Amts wegen bei entsprechendem Vortrag Nachforschungen anstellen muss, ohne dass Gerichtskosten vorgeschossen werden müssen, die Erbenfeststellungsklage, die regelmäßig vor dem Landgericht geführt wird, ein normaler Zivilprozess ist, also zunächst Gerichtskosten einbezahlt werden müssen und es maßgeblich auf dem Parteivortrag ankommt. Dass es aber durchaus taktisch sinnvoll sein kann, im laufenden Erbscheinverfahren eine Erbenfeststellungsklage zu führen, zeigt ein Fall von dem wir heute berichten.
Streit um unterschiedliche Erbverträge
Die 2014 verstorbene Erblasserin, deren Ehemann bereits 2011 vorverstorben war, hatte mit diesem zwei Erbverträge abgeschlossen. Im 1. Erbvertrag aus dem Jahr 1996 war sie für den 1. Erbfall zur unbeschränkten Alleinerben bestimmt worden; im 2. Erbfall sollten ihre 3 Söhne dann jeweils ¼ und 2 Enkel jeweils 1/8 erben.
2010 hat sie dann gemeinsam mit ihrem Ehemann einen weiteren Erbvertrag abgeschlossen, wonach sie im 1. Erbfall nur noch Vorerbin sein sollte; im 2. Erbfall sollten dann nur noch 2 Söhne jeweils 1/3 und 3 Enkel jeweils 1/9 erben, während ihr ältester Sohn, den sie mit in die Ehe gebracht hatte, leer ausgehen sollte.
Erbscheinverfahren
Im Erbscheinverfahren vor dem Amtsgericht Lindau beantragte dieser Sohn die Erteilung eines Erbscheins auf Grundlage des Erbvertrags aus dem Jahr 1996, wonach er noch zu ¼ eingesetzt war und begründete dies damit, dass seine Mutter zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags im Jahr 2010 bereits testierunfähig gewesen sei. Sein Stiefvater habe kurz vor seinem Ableben diesen Umstand ausgenutzt, um die Erbfolge zu Gunsten seiner leiblichen Abkömmlinge zu „korrigieren“, denn seine Mutter habe stets gewollt, dass er gleich behandelt wird.
In seinem Beschluss vom 09.01.2019 (VI 0535/14) hat das Amtsgericht Lindau dann dazu ausgeführt, dass es die Tatsachen zu Erteilung eines Erbscheins aufgrund des Erbvertrags aus dem Jahr 1996 für gegeben erachtet.
Die Erblasserin sei nach seiner Überzeugung auf Grundlage eines eingeholten Sachverständigengutachtens zum Zeitpunkt der Errichtung des 2. Erbvertrags bereits testierunfähig gewesen. Gemäß Sachverständigengutachten lag eine bereits 2009 diagnostizierte und Ende 2010 mittelschwer ausgeprägte demenzielle Erkrankung vor, die ein fortgeschrittenes Stadium mit Störung der Orientierung erreicht hatte, welches zu Testierunfähigkeit führte. Die Erblasserin sei dann auch im Januar 2011 in einer Tagespflegeeinrichtung aufgenommen worden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war die Diagnose „Demenz und Zustand nach Apoplex“ diagnostiziert worden.
Gegen diese Entscheidung haben dann einige der Miterben Beschwerde eingelegt. Das OLG München hat dann mit Beschluss vom 30.01.2020 (31 Wx 106/19, 31 Wx 291/19 und 31 Wx 292/19) die Beschwerdeverfahren ausgesetzt, weil zwischenzeitlich einer der Miterben zugleich Erbenfeststellungsklage vor dem Landgericht Kempten eingereicht hatte.
Erbenfeststellungsklage
Einer der Miterben hatte nun gegen den im 2. Erbvertrag Enterbten eine Feststellungsklage mit dem Inhalt eingereicht, dass der im Jahr 2010 abgeschlossen Erbvertrag maßgeblich sei.
Und jetzt kommt‘s, warum der Fall erzählenswert ist: im Rahmen der Erbenfeststellungsklage hat das Landgericht Kempten mit Urteil vom 18.02.2022 (12 O 1248/18) der Klage stattgegeben und den Erbvertrag aus dem Jahr 2010 für maßgeblich erklärt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der beweisbelastete Beklagte den Nachweis der Testierunfähigkeit nicht habe erbringen können.
Begründet hat das Gericht dies damit, dass das von ihm nun eingeholte Sachverständigengutachten lediglich zu dem Ergebnis gekommen sei, dass zwar Zweifel an der Testierunfähigkeit bestünden diese jedoch nicht als ausreichend für die Annahme einer Testierunfähigkeit angesehen werden könnten. Dass der Gutachter das Gutachten nicht selbst erstellt, sondern einer Mitarbeiterin übertragen hatte, hatte das Gericht dabei ebenso wenig gestört wie der Umstand, dass diese bei der Erstellung des Gutachtens – im Gegensatz zu dem Gutachten beim Nachlassgericht – ein persönliches Gespräch mit dem behandelnden Hausarzt abgelehnt hatte. Das Gericht hatte dann weiter alle potentiellen Erben als Zeugen vernommen, die bei Anwendung des 1. Testaments schlechter gefahren wären und deren Aussagen, dass sie keine Wesensveränderungen bei der Erblasserin hätten feststellen können, als glaubwürdig eingestuft. Eine Vernehmung des Hausarztes als Zeuge hat das Gericht dann abgelehnt, weil dieser an seine Schweigepflicht gebunden sei und weder der ausdrückliche noch konkludent der Wille der Erblasserin diesen von seiner Schweigepflicht zu entbinden, um dem Beklagten zu seinem Erbrecht zu verhelfen, nicht zu erkennen sei und die anderen als potentielle Erben in Betracht kommenden Personen (das waren hier die Zeugen) die Einwilligung in die Entbindung von der Schweigepflicht nicht erteilt hätten. Das Gericht habe sich vor diesem Hintergrund keine eigene Überzeugung von der Testierunfähigkeit der Erblasserin bilden können, sodass der beweisbelastete Beklagte den Nachweis der Testierunfähigkeit nicht habe erbringen können. …
Anmerkung:
Der Laie staunt und der Fachmann wundert sich. Folge aus diesem Urteil ist, da Urteile im Rahmen einer Erbenfeststellungsklage aufgrund der damit verbundenen Rechtskraftwirkung dem Erbscheinverfahren vorgehen, das Nachlassgericht nunmehr nicht, wie zunächst angekündigt, den Erbschein nach dem Erbvertrag von 1996, sondern nach dem Erbvertrag von 2010 erteilen wird.
Dass die im Erbscheinverfahren unterlegenen Miterben anstatt ihr Heil im Rahmen der Beschwerde zu suchen taktisch in die Erbenfeststellungsklage gewechselt sind, war ein überaus kluger Schachzug. Nachdem bereits im Nachlassverfahren ein Gutachten die Testierunfähigkeit bescheinigt hatte, hätte das OLG München mit großer Wahrscheinlichkeit die Auffassung des Nachlassgerichts bestätigt und die Erbfolge nach dem Erbvertrag von 1996 eingeordnet.
Durch den Wechsel vom FGG-Verfahren in ein normales ZPO Verfahren, konnten die Erben so nicht nur sicherstellen, dass das Zivilgericht erneut ein Gutachten zur Frage der Testierunfähigkeit einholen wird, sondern dadurch, dass nur einer der Miterben das Verfahren geführt hat, standen plötzlich alle anderen Miterben dem dort Beklagten als Zeugen gegenüber, konnten also nunmehr ihren Vortrag zur Testierfähigkeit aus dem Erbscheinverfahren plötzlich dadurch mehr Gewicht verleihen, in dem diese nun als Zeugenaussage in den Rechtsstreit eingeflossen ist.
Da im Zivilprozess die Partei, die die Beweislast trägt, nach Beweislastgrundsätzen unterliegt, haben sich also die Chancen hierdurch drastisch verbessert. Es musste nur verhindert werden, dass das Gericht zu einer eigenen Überzeugungsbildung gelangt. Etwas Glück gehörte natürlich auch dazu, denn dass der vom Gericht bestellte Gutachter das Gutachten nicht selbst erstellt, sondern delegiert, und seine Hilfskraft den behandelnden Hausarzt nicht konsultiert und dessen Vernehmung als Zeuge im Prozess dann vom Gericht über eine mangelnde Schweigepflichtentbindung abgelehnt wird, ist natürlich schwer prognostizierbar. Aber letztlich gehört etwas Glück auch dazu.
Der Fall verdeutlicht einmal mehr, dass derjenige, der nicht kämpft, schon verloren hat. Dadurch, dass die im Erbscheinverfahren unterlegenden nicht aufgegeben haben, sondern kampfesbereit den Rechtsweg gewechselt haben, haben sie am Ende dann ihren Willen durchgesetzt.
Eine Feststellungsklage kann übrigens auch erhoben werden, wenn bereits ein Erbschein erteilt worden ist. Ist die Feststellungsklage dann erfolgreich, dann wird der Erbschein unrichtig und muss Nachlassgericht eingezogen werden.
Kleine Anekdote am Rande: Die Miterben haben aus ihrem Kreis einen mittellosen, unter Betreuung stehenden Miterben (Betreuer war einer der anderen Miterben) offiziell das Verfahren mit Prozesskostenhilfe, also auf Kosten der Staatskasse, führen lassen. Damit wurde für den Fall, dass es schief geht, ohne Kostenrisiko prozessiert.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.