In der dynamischen Welt des Arbeitsrechts stellen rechtswidrige Kündigungen und daraus resultierende Kündigungsschutzklagen keine Seltenheit dar. Ein besonders interessanter Fall wurde kürzlich vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, der das Thema Urlaubsanspruch nach einer rechtswidrigen Kündigung betrifft (Urteil vom 05.12.2023 – 9 AZR 230/22). Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Interaktion zwischen dem deutschen Arbeitsrecht und den Rechten von Arbeitnehmern, die sich in einem Doppelarbeitsverhältnis befinden: kann der Arbeitnehmer, der den Kündigungsrechtsstreits gewonnen hat, dann Urlaub gegenüber dem alten Arbeitgeber, bei dem das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung geendet hat, verlangen und gleichzeitig erworbenen Urlaub gegenüber dem neuen Arbeitgeber, bei dem nach Ausspruch der Kündigung gearbeitet hat, verlangen?
Streit um Urlaub nach unwirksamer fristloser Kündigung
Im entschiedenen Rechtsstreit forderte eine Fleischverkäuferin, die nach einer fristlosen, jedoch rechtswidrigen Kündigung einen neuen Job angenommen hatte, von ihrem ehemaligen Arbeitgeber die Abgeltung des Mehrurlaubs. Sie argumentierte, dass der in der neuen Anstellung erhaltene Urlaub nicht auf den Mehrurlaub anzurechnen sei. Die Instanzgerichte und schlussendlich das BAG sahen dies anders.
Das BAG hat die Frage verneint, denn nach Auffassung der obersten Arbeitsrichter muss sich ein zu Unrecht gekündigter Arbeitnehmer, der während des Kündigungsrechtsstreits eine neue Beschäftigung aufnimmt, den bei diesem neuen Arbeitgeber erhaltenen Urlaub auf die Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. Dies untermauert das Gericht durch den Verweis auf den dispositiven Charakter der §§ 11 Nr. 1 KSchG und 615 S. 2 BGB sowie die Rechtsprechung zu Doppelarbeitsverhältnissen.
Es wird zwar grundsätzlich ein doppelter Urlaubsanspruch erworben …
Das BAG bestätigte, dass Arbeitnehmer in einem Doppelarbeitsverhältnis in beiden Jobs volle Urlaubsansprüche erwerben, selbst wenn die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllt werden können. Die Europäische Arbeitszeitrichtlinie, die nur Mindestschutz gewährt, schließt höheren Arbeitnehmerschutz nicht aus, wie das BUrlG verdeutlicht. Das Gericht stellte klar, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt und nicht an die Erbringung einer Arbeitsleistung geknüpft ist.
… aber zur Vermeidung von doppelten Ansprüchen muss eine Anrechnung erfolgen.
Zur Vermeidung doppelter Urlaubsansprüche muss sich der Arbeitnehmer den in der neuen Anstellung erhaltenen Urlaub auf den Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. Diese Anrechnung erfolgt kalenderjahresbezogen.
Fazit
Das Urteil des BAG vom 05.12.2023 (9 AZR 230/22) stellt einen wichtigen Meilenstein in der Rechtsprechung zum Thema Urlaubsanspruch bei Doppelarbeitsverhältnissen dar. Es verdeutlicht, dass der Schutz des Arbeitnehmers im Vordergrund steht, aber eine doppelte Vorteilsnahme in Form von Urlaubsansprüchen ausgeschlossen ist. Dies schafft eine gerechte Balance zwischen den Rechten der Arbeitnehmer und der Vermeidung von ungerechtfertigten Bereicherungen. Arbeitnehmer, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, sollten sich der Anrechnungspraxis bewusst sein und gegebenenfalls rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, um ihre Rechte und Pflichten vollständig zu verstehen. Die Einhaltung und Anwendung der relevanten Gesetze und Richtlinien stellt sicher, dass die Rechte aller Parteien gewahrt bleiben.