Wer als Asylbewerber straffällig wird, der verwirkt sein Asylrecht und verdient deshalb die Abschiebung. So jedenfalls die landläufige Meinung. Während Abschiebungen bislang oft an tatsächlichen Hindernissen gescheitert sind, weil beispielsweise der Herkunftsstaat die Aufnahme verweigert oder die für eine Abschiebung erforderlichen Papiere nicht ausgestellt hat, wird nun selbst bei schwer straffällig gewordenen Flüchtlingen die Abschiebung durch eine aktuelle Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 (C-391/16, C-77/17 und C-78/17) erschwert. Die Richter in Luxemburg haben nämlich nun entschieden, dass der Anspruch auf Asyl einerseits vom Schutz durch die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechte zu unterscheiden sei. Dies bedeutet, dass straffällig gewordene Flüchtlinge, die deshalb kein Asylrecht erhalten oder ihr Asylrecht verloren haben, gleichwohl nicht abgeschoben werden dürfen, wenn sie eine begründete Furcht vor Verfolgung in ihrem Herkunftsland haben und ihnen Folter oder unmenschliche sowie erniedrigende Strafen drohen. Das Verhalten in ihrem Gastland, in dem sie im Schutz nachgesucht haben, spielt dabei, so die Richter am EuGH, keine Rolle und muss unberücksichtigt bleiben.
Straffällige Asylbewerber klagen gegen Abschiebung
Geklagt hatten drei Asylbewerber, denen Belgien bzw. Tschechien, nachdem sie wegen besonders schwerer Straftaten verurteilt worden waren, die Anerkennung verweigert hatte. Die Kläger, die von der Elfenbeinküste, aus dem Kongo sowie aus Tschetschenien stammten, waren in den jeweiligen Staaten wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen zu 4 Jahren, Diebstahls mit vorsätzlicher Tötung zu 25 Jahren bzw. wegen wiederholter Raubüberfälle und Erpressung zu 9 Jahren Haft verurteilt worden. Deshalb war ihnen die Flüchtlingsanerkennung verweigert bzw. wieder entzogen worden. Dagegen zogen sie vor Gericht. Die nationalen Gerichte wiederum legten die Sache dem EuGH zur Entscheidung vor, damit dieser abschließend klärt, welche Folgen dies für das Aufenthaltsrecht habe.
EuGH stellt Regeln für die Mitgliedstaaten auf
In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser, der eine begründete Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsland oder in seinem Wohnsitzstaat hat, als Flüchtling im Sinne der Richtlinie und des Genfer Abkommens einzustufen sei, und zwar unabhängig davon, ob ihm die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Richtlinie förmlich verliehen worden ist. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft als die Anerkennung als Flüchtling definiert und dass diese Anerkennung einen rein deklaratorischen und keinen für diese Eigenschaft konstitutiven Charakter habe.
Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass die förmliche Anerkennung der Eigenschaft als Flüchtling zur Folge hat, dass der betreffende Flüchtling über alle in der Richtlinie für diese Art internationalen Schutzes vorgesehenen Rechte und Leistungen verfügt, und zwar sowohl Rechte, die den im Genfer Abkommen enthaltenen entsprechen, als auch in höherem Maße schützende Rechte, die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergeben und in dem Abkommen keine Entsprechung haben.
Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die in der Richtlinie vorgesehenen Gründe für die Aberkennung und für die Verweigerung den Gründen entsprechen, die das Genfer Abkommen für die Zurückweisung eines Flüchtlings anerkennt. Während der Flüchtling in dem Fall, dass die Voraussetzungen für eine Berufung auf die genannten Gründe erfüllt sind, den Schutz des Grundsatzes der Nichtzurückweisung in ein Land, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind, nach dem Genfer Abkommen nicht mehr in Anspruch nehmen kann, ist die Richtlinie unter Achtung der in der Charta verankerten Rechte auszulegen und anzuwenden, die eine Zurückweisung in ein solches Land ausschließen. Nach der Charta sind nämlich Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafen und Behandlungen unabhängig vom Verhalten der betreffenden Person und die Ausweisung in einen Staat, in dem einer Person das ernsthafte Risiko einer solchen Behandlung droht, uneingeschränkt verboten.
Der Gerichtshof ist auch der Ansicht, dass die Aberkennung der Rechtsstellung als Flüchtling oder die Verweigerung der Zuerkennung dieser Rechtsstellung nicht dazu führen, dass eine Person, die eine begründete Furcht vor Verfolgung in ihrem Herkunftsland hat, die Eigenschaft als Flüchtling verliert. Obwohl eine solche Person nicht oder nicht mehr über alle in der Richtlinie den Inhabern der Rechtsstellung als Flüchtling vorbehaltenen Rechte und Leistungen verfügt, kann sie daher bestimmte im Genfer Abkommen vorgesehene Rechte geltend machen oder weiterhin geltend machen. Hierzu führen die Richter aus, dass eine Person, die die Eigenschaft als Flüchtling besitzt, uneingeschränkt über die im Genfer Abkommen verankerten Rechte, auf die die Richtlinie im Zusammenhang mit der Aberkennung und der Verweigerung der Zuerkennung der Rechtsstellung als Flüchtling aus den genannten Gründen ausdrücklich verweist, sowie über die in diesem Abkommen vorgesehenen Rechte, deren Ausübung keinen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, sondern eine bloße physische Anwesenheit des Flüchtlings im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats, verfügen muss.
Konsequenzen der Entscheidung
Logische Konsequenz der Entscheidung ist, dass derjenige, der einmal die Außengrenze von Europa überschritten hat, gleichgültig wie er sich dann in Europa verhält, insbesondere welche Straftaten er innerhalb von Europa verübt, nicht abgeschoben werden kann, solange die begründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsland besteht, die Straftat also dann nur mit den strafrechtlichen Sanktionen des Aufnahmestaats sanktioniert werden kann. Die von den Richtern aus Gründen der Humanität getroffene Entscheidung wird daher Wasser auf den Mühlen all derer sein, die eine stärkere Sicherung der Außengrenzen fordern, so dass kriminell vorbelastete Straftäter schon gar nicht nach Europa einreisen können.