Gerät ein Arbeitnehmer in den dringenden Verdacht eine Straftat begangen zu haben, die das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerrüttet, dann kann der Arbeitgeber mit einer sog. Verdachtskündigung das Arbeitsverhältnis auch dann wirksam kündigen, ohne dass der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich als Täter feststeht. Neben einem dringenden Tatverdacht ist aber zwingend eine Anhörung des zu kündigenden Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erforderlich. Fehlt es daran, dann ist die Kündigung unwirksam (LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2017 – 17 S 1540/16).
Aus angeliefertem Geldkoffer verschwinden 115.000 €
Die gekündigte Arbeitnehmerin war Kassiererin einer Sparkasse. Sie hatte am 28.05.2015 gegen 9:40 Uhr einen verplombten Geldkoffer der Bundesbank angenommen, in dem sich ein Geldbetrag von 115.000 € ausschließlich in 50 Euroscheinen befinden sollte. Die Anlieferung erfolgte durch ein Geldtransportunternehmen. Die Angestellte hatte die Lieferung am Vortag selbst angefordert.
Der Koffer stand dann rund 20 Minuten im nur teilweise einsehbaren Kassenbereich, in dem sich die gekündigte Arbeitnehmerin zu diesem Zeitpunkt allein aufgehalten hatte. Dann öffnete sie den Koffer allein und verletzte dabei das von der Sparkasse vorgegebene Vier-Augen-Prinzip. Schließlich rief sie einen Kollegen hinzu, der in dem Koffer kein Bargeld, sondern nur Waschpulver und Babynahrung erblickte. Die Arbeitnehmerin gab an, dass dies die Füllung sei, mit der der Koffer bei ihr angeliefert worden wäre.
Sparkasse bejaht dringenden Tatverdacht und spricht Verdachtskündigung aus
Nachdem zunächst sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und die Sparkasse selbst Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt hat, kündigte die Sparkasse der Mitarbeiterin am 19.04.2016 fristlos. Sie begründete dies damit, dass gegen die Mitarbeiterin der dringende Verdacht einer Straftat zu ihrem Nachteil bestehe. Neben dem Verschwinden des Geldes sprechen dafür zahlreiche weitere Indizien, nämlich dass die Mitarbeiterin für die Bestellung eines derart hohen, entsprechend gestifteten Ballgeldbetrags einen sachlichen Anlass gehabt hätte sowie dass die Mitarbeiterin nach dem Abhandenkommen des Geldes auffällige finanzielle Transaktionen getätigt habe.
Sparkassenmitarbeiterin zieht vor Gericht und gewinnt
Die gegen die Verdachtskündigung erhobene Kündigungsschutzklage war sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch nun vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich.
Nach Auffassung der Richter kommt im Gegensatz zu einer Kündigung bei einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers eine Verdachtskündigung zum Schutze des Arbeitnehmers nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht. Es müsse insbesondere ein dringender Verdacht bestehen, also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dem betroffenen Arbeitnehmer das fragliche Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Dies ist aber vorliegend nicht der Fall, weil auch die Täterschaft anderer Personen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
Letztlich käme es aber nicht entscheidend darauf an, weil als weitere Voraussetzung eine Verdachtskündigung vor deren Ausspruch eine Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers zu erfolgen habe. Im Rahmen seiner Aufklärungsbemühungen müsse daher der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer konkret mit den verdachtsbegründenden Umständen konfrontieren. Eine diesen strengen Anforderungen genügende Anhörung sei aber seitens des Arbeitgebers nicht erfolgt.
Der Fall verdeutlicht, dass gerade dann, wenn der Ausspruch einer Verdachtskündigung im Raum steht, dies nicht vorschnell und keinesfalls ohne vorherige kompetente anwaltliche Beratung erfolgen sollte.
Falls Sie als Arbeitgeber einen ihrer Mitarbeiter einer Straftat verdächtigen, dann klären wir gerne mit Ihnen gemeinsam ab, ob dieser Verdacht zur Stützung einer Kündigung ausreichen wird.