Das Bundesarbeitsgericht (BAG) steht möglicherweise vor einer wegweisenden Änderung in seiner Rechtsprechung zu Massenentlassungen. Ein zentraler Punkt in dieser Diskussion ist die Frage, ob eine Kündigung unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber die Anzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG nicht korrekt erstattet hat. Diese Frage hat nicht nur theoretische Relevanz, sondern wirkt sich unmittelbar auf die Praxis von Unternehmen und die Rechtssicherheit von Arbeitnehmern aus.
Der Fall
In den Verfahren 6 AZR 157/22, 6 AZR 155/21 und 6 AZR 121/21 verhandelt das BAG Fälle, in denen Fehler im Rahmen der Anzeigepflicht nach § 17 KSchG möglicherweise zu einer Unwirksamkeit der Kündigungen geführt haben könnten. Bisherige Rechtsprechung sowohl des Zweiten als auch des Sechsten Senats ging davon aus, dass eine solche Nichtbeachtung des Anzeigeverfahrens gemäß § 134 BGB eine Unwirksamkeit der Kündigung nach sich zieht.
Die Entscheidung
Die entscheidende Wendung kam mit dem Beschluss des Sechsten Senats des BAG vom 14. Dezember 2023. Das Gericht legt dar, dass ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nicht zwangsläufig die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB zur Folge haben sollte. Begründet wird dies damit, dass § 17 KSchG keinen ausreichenden Verbotscharakter aufweist, um eine solche Sanktion zu rechtfertigen. Dies hatte bereits der EuGH im Rahmen einer Vorabentscheidung mit Urteil vom 13.07.2023 (C 134/22) so entschieden. Diese Interpretation steht im Kontrast zu früheren Urteilen und hebt die Bedeutung des Anzeigeverfahrens als eine vornehmlich administrative, ordnungsrechtliche Pflicht hervor. Das BAG hat deshalb ein Verfahren erneut ausgesetzt und nunmehr eine Divergenzanfrage an den Zweiten Senat gerichtet:
„Wird an der seit dem Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11 vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, dass eine Kündigung als Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB verstößt und die Kündigung deshalb unwirksam ist, wenn bei ihrer Erklärung keine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt?“
Fazit
Die mögliche Rechtsprechungsänderung würde für Arbeitgeber eine erhebliche Erleichterung im Kontext von Massenentlassungen bedeuten. Die bisherige strenge Sanktionierung bei Verstößen gegen das Anzeigeverfahren wäre abgemildert. Jedoch sollte beachtet werden, dass Fehler im Konsultationsverfahren nach wie vor gravierende Folgen haben können und zur Nichtigkeit der Kündigung führen.