Verwendet ein Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem im Betrieb und weigert sich ein Arbeitnehmer dieses zu benutzen, dann wird der Arbeitgeber alsbald mit einer Abmahnung reagieren. Erfolgte die Zeiterfassung früher üblicherweise analog mittels Stechuhr, ist heute eine digitale Zeiterfassung, zum Beispiel über softwarebasierte oder webbasierte Zeiterfassungssysteme, teilweise auch per Smartphone oder Tablet, die Regel. Relativ neu ist die digitale Zeiterfassung mittels Fingerprint. Diese Form der Arbeitszeiterfassung soll unter anderem verhindern, dass Mitarbeiter für Kollegen „mitstempeln“ und hierdurch Arbeitszeitbetrug begehen. Eine solche Abmahnung ist allerdings nur dann berechtigt, wenn der Arbeitnehmer auch verpflichtet war das Zeiterfassungssystem zu benutzen. Andernfalls ist die Abmahnung unberechtigt und der Arbeitnehmer kann in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Entfernung der zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Eine Arbeitszeiterfassung durch ein Zeiterfassungssystem Mittelfinger Print ist dabei regelmäßig nicht erforderlich im Sinne von § 26 Abs. 1 BDSG und damit ohne Einwilligung der Arbeitnehmer (oder entsprechende Kollektivvereinbarung) nicht zulässig (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 16. Oktober 2019,29 Ca 5451/19).
Streit um Abmahnung wegen Nichtbenutzung eines Zeiterfassungssystems
Der Kläger war bei der Beklagten als MTR-Assistent beschäftigt. Im August 2018 führe die Beklagte das Zeiterfassungssystem Modell „Zeus“ ein. Davor trugen die Mitarbeiter der Beklagten auf dem ausgedruckten und ausliegenden Dienstplan per Hand sowohl ihre geleisteten Arbeitszeiten ein als auch ihre Einsatzwünsche. In aller Regel wiesen die handschriftlich eingetragenen Arbeitszeiten auch geleistete Mehrarbeitsstunden aus. Gelegentlich wurden abweichende Dienstzeiten mündlich nachgeliefert. Eine Kontrolle der eingetragenen Zeiten fanden nicht statt.
Mit Rundmail vom 27. Juli 2018 wurde allen Mitarbeitern mitgeteilt, wie die Funktionsweise des Zeiterfassungssystems gestaltet ist, verbunden mit dem Hinweis
„Ab 01. August 2018 gelten ausschließlich die mittels der Zeiterfassung ermittelten Arbeitszeiten – alles was schriftlich im Dienstplan notiert wird, wird nicht mehr anerkannt …“.
Der Kläger hat in der Folgezeit weder das Zeiterfassungssystem benutzt noch eine Einwilligung erteilt. Er wurde deshalb von der Beklagten am 05.10.2018 sowie am 26.03.2019 abgemahnt.
Der Kläger begehrt mit der Klage die Entfernung der Abmahnung, die seiner Auffassung nach zu Unrecht erfolgt ist, weil die Zeiterfassung durch Fingerprint weder erforderlich sei noch er dazu seine Einwilligung erteilt habe, aus der Personalakte.
Kläger durfte wegen Nichtbenutzung des Zeiterfassungssystems nicht abgemahnt werden
Die Klage war erfolgreich, denn nach Auffassung der Richter war der Kläger nicht verpflichtet das Zeiterfassungssystem Zeus zu nutzen.
Bei der Zeiterfassung mittels Fingerprint meldet sich der Mitarbeiter durch Abgleich seines Fingerabdrucks mit den im Zeiterfassungsterminal gespeicherten Daten im Zeiterfassungsprogramm an und ab. Hierfür werden aus dem Fingerabdruck des Mitarbeiters zunächst sog. Minutien (individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen) mittels eines speziellen Algorithmus extrahiert. Der Minutiendatensatz wird sodann im Zeiterfassungsterminal gespeichert und zum Abgleich des Fingerabdrucks des Mitarbeiters bei der An- und Abmeldung verwendet. Nicht gespeichert wird grundsätzlich der Fingerabdruck des Mitarbeiters. Aus dem gespeicherten Minutiendatensatz kann der Fingerabdruck des Mitarbeiters auch nicht wieder generiert werden.
Datenschutzrechtlich handelt es sich bei dem Minutiendatensatz um biometrische Daten nach Artikel 9 Abs. 1 DSGVO und besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von § 26 Abs. 3 BDSG. Diesen Daten ist eigen, dass eine Verarbeitung die Privatsphäre des Mitarbeiters und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im besonderen Maße verletzen kann. Die Verarbeitung von biometrischen Daten – und somit auch von Minutiendatensätzen – ist daher nach Artikel 9 Abs. 1 DSGVO grundsätzlich verboten. Allerdings enthält Artikel 9 Abs. 2 DSGVO mehrere Erlaubnistatbestände, bei deren Vorliegen eine Verarbeitung (ausnahmsweise) doch zulässig ist. Arbeitsrechtlich relevant sind insbesondere die Erlaubnistatbestände „Erforderlichkeit“, „Freiwillige Einwilligung“ und „Kollektivvereinbarung“.
Da im vorliegenden Fall die Datenverarbeitung weder durch eine Kollektivvereinbarung noch durch eine Einwilligung gestattet war, wäre diese nur dann gerechtfertigt, wenn die Verarbeitung der biometrischen Daten im Rahmen der Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 26 Abs. 1 BDSG erforderlich ist, damit der Verantwortliche (Arbeitgeber) den ihm „aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes“ erwachsenden Rechte und Pflichten nachkommen kann. Es darf kein Grund zu der Annahme bestehen, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person (des Beschäftigten) an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Biometrische Merkmale eines Beschäftigten darf der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 3 BDSG somit nur dann verarbeiten, wenn dies für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.
„Die Erhebung und Verwendung von biometrischen Merkmalen muss im Rahmen der dreistufigen Prüfung folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Das biometrische Verfahren muss für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses geeignet sein, das heißt, der jeweils auf das Beschäftigungsverhältnis bezogene Zweck muss tatsächlich gefördert werden können.
2. Es darf kein anderes, gleich wirksames, das Persönlichkeitsrecht weniger beeinträchtigendes Mittel existieren.
3. Als Ergebnis einer umfassenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen und Grundrechte des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers muss die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten durch das Biometrische Verfahren in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der Datenverwendung stehen (Weth/Herberger/Wächter/Sorge-Kramer B XI. Rn.-Nr. 9f mit weiteren Nachweisen).
Dabei gilt folgende Regel: Je intensiver in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen werden soll, desto schwerer muss der vom Arbeitgeber mit dem Verfahren verfolgte konkrete Zweck wiegen. So wird das Interesse des Arbeitgebers an einer biometrischen Zugangskontrolle zu Bereichen mit sensiblen Geschäfts-, Produktions- und Entwicklungsgeheimissen eher überwiegen als bei einer angestrebten Zugangs-sicherung zu normalen Bürobereichen. So können biometrische Daten zwar zur Kontrolle beim Eintritt in Sicherheitsbereiche, nicht jedoch im Rahmen der Arbeitszeiterfassung verwendet werden (Gola / Heckmann, 13. Auflage 2019, Rn.-Nr. 157 zu § 26 BDSG).
Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Arbeitszeiterfassung durch Fingerprint wirklich erforderlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dadurch die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen erheblich beeinträchtigt werden. Wenn auch vereinzelt Missbrauch von Zeiterfassungssystemen durch Falscheintragungen oder im Falle einer Stempelkarte durch „mitstempeln“ durch Kollegen auftreten mögen, so ist dennoch in der Regel davon auszugehen, dass sich die weit überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer rechtstreu verhält, also für eine solche Art von Kontrollen keinerlei Anlass gegeben ist, es sei denn, dass konkrete Umstände im Einzelfall (Nachweise über Missbräuche in nicht unerheblichem Umfang) die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme begründen können.
Derartiges hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen. Sie hat weder vorgetragen, dass durch das bisherige „händische“ System der Zeiterfassung erheblicher Missbrauch betrieben worden ist, noch hat sie darlegen können, dass im Fall der Einführung eines anderen Zeiterfassungssystems (ohne die Speicherung biometrischer Daten) Missbrauch in erheblichem Umfang oder auch nur in nennenswertem Umfang zu befürchten ist. Es ist auch nicht dargetan, dass etwa der Kläger in der Vergangenheit durch Falschangaben betreffend seine Arbeitszeit negativ aufgefallen ist.“
Nach alledem vermochten die Richter nicht festzustellen, dass vorliegend die Interessen der Beklagten das schutzwürdige Interesse des Klägers an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegen.