Wer zu einer Geldstrafe mit mehr als 90 Tagessätzen verurteilt worden ist, der gilt als vorbestraft. Gleichwohl muss derjenige, der bereits in diesem Sinne verurteilt worden ist oder aber eine solche Geldstrafe oder gar Freiheitsstrafe zu erwarten hat, bei der Suche nach einem neuen Job selbst dann, wenn der Arbeitgeber danach fragt, grundsätzlich darüber keine bzw. keine wahrheitsgemäße Auskunft erteilen. Ein Verstoß berechtigt den Arbeitgeber nämlich regelmäßig nicht einen geschlossenen Arbeitsvertrag oder Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten (Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 20.5.2020 -5 Ca 83/20).
Bewerber um Ausbildungsplatz macht Falschangabe zu schwebendem Strafverfahren
Der Kläger hatte sich bei der Beklagten um einen Ausbildungsplatz zur Fachkraft für Lagerlogistik erfolgreich beworben. Während des Einstellungsverfahrens hatte er in einem ihm vorgelegten Personalblatt bei dem dort vorgesehenen Feld „gerichtliche Verurteilungen/schwebende Verfahren“ mit „Nein“ geantwortet. Dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Raubes anhängig war und alsbald die Hauptverhandlung eröffnet werden sollte, hatte er verschwiegen.
Arbeitgeber erklärt nach strafrechtlicher Verurteilung die Anfechtung des Ausbildungsvertrags
Knapp ein Jahr nach Ausbildungsbeginn wandte sich der Kläger dann an seinen Vorgesetzten und teilte diesem mit, dass er eine Haftstrafe antreten müsse und deshalb eine Erklärung der Beklagten benötige, dass er seine Ausbildung während des Freigangs fortsetzen könne.
Anstatt einer solchen Erklärung erklärte die Beklagte dagegen mit Schreiben vom 20.11.2019 die Anfechtung des Ausbildungsvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Keine Relevanz der Frage für den zu besetzenden Arbeitsplatz
Die dagegen gerichtete Klage zum Arbeitsgericht war erfolgreich. Das Arbeitsgericht hat dabei klargestellt, dass zwar grundsätzlich der Arbeitgeber im Einstellungsverfahren auch berechtigt sein könne beim Bewerber Informationen zu Vorstrafen einzuholen, wenn und soweit dies für die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes relevant sein könne. Dies sei beispielsweise bei einer Bewerbung um ein öffentliches Amt der Fall, wenn ein solches Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit begründen könne. Bei einer solchen Frage sei allerdings stets das Informationsinteresse des Arbeitgebers gegen den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Bewerbers abzuwägen. Daraus ergebe sich, dass dann, wenn die Frage für die Art der Beschäftigung ohne Relevanz sei, der Bewerber nicht wahrheitswidrig antworten müsse. Er habe ein „Notwehr ähnliches Recht zur Lüge“.
Die von der Beklagten im Rahmen des dem Azubi vorgelegten Personalblatt gestellte und spezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren jedweder Art sei, so das Gericht, bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz als Fachkraft für Lagerlogistik zu weitgehend und damit unzulässig. Denn nicht jede denkbare Straftat vermag Zweifel an der Eignung des Klägers für die angestrebte Ausbildung zu begründen. Dem Arbeitgeber stünde damit kein Anfechtungsrecht zur Seite.