Wer eine Immobilie erwirbt, die weiterhin vom Veräußerer bewohnt wird und vielleicht auch noch eine Pflegeverpflichtung übernimmt, der geht eine „Wette auf den Tod des Veräußerers“ ein. Stirbt dieser nämlich schnell, dann kann der Kauf ein sehr gutes Geschäft sein. Wenn diese allerdings besonders lange lebt, dann kann sich das Geschäft auch schnell als sehr unrentabel darstellen. Was aber ist, wenn der Veräußerer nur 3 Wochen nach Abschluss des Kaufvertrags verstirbt? Ist in derartigen Fällen dann der Vertrag ergänzend so auszulegen, dass ein in den Kaufpreis eingepreistes Wohnrecht für den Veräußerer sowie die Übernahme einer Pflegeverpflichtung zugunsten der Erben des Veräußerers zu kapitalisieren sind? Nein, hat das OLG Frankfurt am Main mit Beschluss vom 06.05.2019 (8 B 13/19) entschieden und einen entsprechenden Prozesskostenhilfeantrag der Erben des Veräußerers zurückgewiesen.
Erblasser veräußert kurz vor seinem Tod Wohnimmobilie an Nichte
Im entschiedenen Rechtsstreit hatte der Erblasser im Frühjahr 2014 seine Wohnimmobilie an seine Nichte verkauft. Als Kaufpreis wurden 86.000 € vereinbart. Der Erblasser als Veräußerer sollte dabei ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht erhalten. Der Wert dieses Wohnrechts wurde mit einem Jahreswert von 2.592 € und kapitalisiert mit 21.666 € bewertet. Gleichzeitig verpflichtete sich die Nichte als Erwerberin den Erblasser im häuslichen Bereich zu pflegen, solange dies für sie möglich und zumutbar war. Die Pflege wird wurde mit einem Jahreswert von 2064 € eingesetzt. Kapitalisiert ergab sich daraus ein Betrag in Höhe von 20.563 €. Nach Abzug dieser beiden „Belastungen“ hat die Nichte dann an den Erblasser tatsächlich 10.000 € bezahlt.
Plötzlicher Tod des Veräußerers führt zu Begehrlichkeiten der Erben
Der Veräußerer war dann plötzlich und unvermittelt, nur knapp 3 Wochen nach Abschluss des notariellen Vertrags, verstorben. Beerbt wurde dieser von seinen 3 Geschwistern. Diese waren nun der Meinung, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die im Kaufvertrag genannten Kapitalisierung von Wohnrecht und Pflegeleistung an den Nachlass zu bezahlen sei, weil der Vertrag, da der alsbaldige Tod des Veräußerers nicht bedacht war, angepasst werden müsste.
Gericht darf nicht in vertragliches Regelungswerk eingreifen
Da die Erben nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügten ein Klageverfahren zu führen, haben sie zunächst die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Da der Antrag bereits vom Landgericht Frankfurt am Main zurückgewiesen worden ist, hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main als Beschwerdegericht mit dieser Rechtsfrage zu befassen und den Erben im Ergebnis die Gewährung von Prozesskostenhilfe verwehrt., Nach Auffassung der Richter bestand keine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung.
Kein Raum für ergänzende Vertragsauslegung
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung sei, dass sich im Regelungskonzept des Vertrags eine Lücke befinde, die im Wege der Auslegung geschlossen werden müsse. Da sich beide Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags im Ungewissen darüber befunden hätten, wie lange der Veräußerer noch leben würde bzw. ob er zu Lebzeiten pflegebedürftig werden würde, hatte die Nichte als Erwerberin das Risiko übernommen, für den Fall, dass der Erblasser alsbald nach Vertragsschluss pflegebedürftig werden würde, für sehr lange Zeit Pflegeleistungen übernehmen zu müssen. Umgekehrt hat der Erblasser das Risiko übernommen, dass er im Falle seines frühen Todes, seiner Nichte das Grundstück überlässt, obwohl er sein Wohnrecht nur kurze Zeit ausüben und keine Pflegeleistungen in Anspruch nehmen konnte. Da die ergänzende Auslegung nicht zu einer freien richterlichen Vertragsgestaltung ausufern dürfe, sei kein Grund ersichtlich, warum im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in das vertragliche Regelungskonzept der Parteien eingegriffen werden sollte. Der Umstand, dass sich das Risiko des Erblassers sehr rasch realisiert habe, ist dabei ohne Belang, denn umgekehrt hätte auch die Nichte als Erwerberin keinen Anspruch auf ergänzende Vertragsauslegung gehabt, wenn sie den Erblasser über eine lange Zeit hätte pflegen müssen.
Keine Anpassung über die Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage
Weiter haben die Richter ausgeführt, dass auch nach den Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, keine Vertragsanpassung zu erfolgen hat. Bei der Vereinbarung eines lebenslangen Wohnrecht, muss nämlich jeder Vertragsteil damit rechnen, dass aufgrund von Krankheit und Pflegebedürftigkeit das Wohnrecht nicht bis zum Tod ausgeübt werden kann. Gleiches gilt für die Pflegeverpflichtung. Auch hier muss grundsätzlich jeder Vertragsteil damit rechnen, dass die Verpflichtung infolge Tod des Berechtigten nach kurzer Zeit erlischt.
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Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.